Deutsche Klimapolitik - BIST DU WIRKLICH AUF DEM 1,5-GRAD-PFAD?
erschienen im Parents-Newsletter #20 (Juli 2022)
Befindet sich die Ampelregierung mit dem Koalitionsvertrag „auf dem 1,5-Grad-Pfad“, wie Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck bei der Vorstellung des Regierungsprogramms im November letzten Jahres behauptete? Dem widerspricht der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seiner aktuellen Stellungnahme zum deutschen CO2-Budget (SRU 2022) deutlich. Wir wollen hier die Berechnungen des SRU zu den Treibhausgas (THG)-Pfaden vorstellen, uns aber auch die Herleitung und impliziten Annahmen zur Restbudget-Bestimmung genauer anschauen.
Der SRU leitet aus den Klimazielen des Pariser Klimaschutzabkommens ein maximales nationales Restbudget an THG-Emissionen für Deutschland ab. Die Höhe des Restbudgets hängt sowohl vom Klimaziel an sich (1,5 / 1,75 / 2 Grad) wie auch von der Sicherheit ab, mit der dieses erreicht werden kann (50 % / 67 % / 83 %). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält in seinem Urteil vom April 2021 die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze für erforderlich. Soll diese mit nur 50 % Sicherheit erreicht werden, verbleibt Deutschland ein CO2-Restbudget von 3,1 Gt ab 2022. Für die 1,75-Grad-Grenze dürften bei 67 % Wahrscheinlichkeit noch maximal 6,1 Gt CO2 ausgestoßen werden.
Deutsche Klimapolitik auf dem 2-Grad-Pfad
Mit dem nach dem BVerfG-Urteil novellierten Klimaschutzgesetz von 2021 (KSG 2021), das anerkanntermaßen einen deutlichen Fortschritt gegenüber der vorherigen Gesetzgebung darstellt, würde Deutschland nicht einmal die 1,75-Grenze einhalten, wie Abb. 1 zeigt. Hinzu kommt eine deutliche Umsetzunglücke, also eine Abweichung der realen THG-Reduktion von den eigenen Zielen, was in Abb. 1 durch die Werte des Projektionsberichts 2021 verdeutlicht wird.
Mit den Zielen des KSG 2021 kann gerade noch eine Begrenzung auf 2 Grad – im Sinne des Vorsorgeprinzips mit hoher Wahrscheinlichkeit (83 %) – erreicht werden (siehe Abb. 2). Wenn die Ampelregierung sich dennoch auf dem 1,5-Grad-Pfad wähnt, verwendet sie offensichtlich eine andere Berechnungsmethodik für das CO2-Restbudget. Bevor wir uns diese genauer ansehen, soll hier zunächst die Berechnungsmethodik des SRU vorgestellt werden.
CO2-Budgetberechnung des SRU
Der SRU ermittelt das nationale CO2-Restbudget, indem er das globale Restbudget nach der Bevölkerungszahl auf die Länder verteilt, beginnend ab 2016, dem Jahr des Inkrafttretens des Parisabkommens. Er hält dieses sowohl ethisch als auch aus Sicht internationaler Klimapolitik für einen gut begründeten, praktikablen Weg.
Andere denkbare Aufteilungen wären:
- Budgetzuweisung gemäß des aktuellen Emissionsanteils („Grandfathering“); Fortschreibung überproportionaler Emissionsrechte.
- Einbezug historisch kumulativer Emissionen oder der Entwicklungsrechte wirtschaftlich ärmerer Länder; das würde das deutsche Restbudget deutlich schmälern.
- Beginn der Budgetrechnung vor 2016, zum Beispiel 1990, dem Veröffentlichungsjahr des ersten Sachstandsberichts des IPCC. Das noch verbleibende deutsche Budget für 1,5 °C wäre bereits heute aufgebraucht, das 2 °C-Budget bei 50 %iger Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung voraussichtlich Anfang 2023.
Das Verteilungsprinzip nach Bevölkerungsanteil ab 2016 ist nach Auffassung des SRU bereits ein Kompromiss zwischen verschiedenen Auffassungen und ist zugunsten der Industriestaaten großzügig. Auch wenn das verbleibende deutsche CO2-Budget inzwischen klein erscheint, rechtfertigt dies ethisch nicht, ein Deutschland bevorteilendes alternatives Prinzip zu wählen.
Kritik alternativer Budget-Berechnungen
Wenn argumentiert wird, dass die deutsche Klimapolitik einem 1,5-Grad-Pfad entspreche, wird häufig implizit eine der folgenden Annahmen zur Budgetberechnung zugrunde gelegt:
- Ein anderes Verteilungsprinzip oder einfach die Übernahme der globalen Zielmarke für Netto-Null für Deutschland. Hier werden keine verstärkten Reduktionsanforderungen an die aktuell besonders stark emittierenden Staaten gestellt.
- Einplanung erheblicher Mengen negativer Emissionen, die übermäßige THG-Emissionen nachträglich ausgleichen sollen. Der SRU weist darauf hin, dass bisher kein wirksames Verfahren auch nur annähernd in klimarelevantem Ausmaß verfügbar ist.
- Budgetzukauf aus anderen Ländern. Auch hier schätzt der SRU das Potential gering ein: Es müssten ausreichend realisierbare Projekte vorhanden sein, um die zudem internationale Konkurrenz herrscht.
SRU fordert mehr Transparenz
Im Einklang mit dem Urteil des BVerfG fordert der SRU die transparente Ausweisung eines deutschen CO2-Budgets und die Begründung der zugrundeliegenden Annahmen. Die Bundesregierung kann auch ein anderes CO2-Budget als das des SRU ausweisen, sollte die dazu getroffenen Annahmen aber transparent darlegen und rechtfertigen, sodass darüber eine politische Auseinandersetzung erfolgen kann. Auf der Basis des Budgets soll ehrlich kommuniziert werden, ob und ggf. inwieweit eine Ambitionslücke im deutschen Beitrag zu den Pariser Klimazielen besteht. Negative Emissionen sind nach Ansicht des SRU nur für unvermeidbare Restemissionen vorzusehen.
Quellen:
- Sachverständigen für Umweltfragen: Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO2-Budget - STELLUNGNAHME, Juni 2022
- konzeptwerk neue ökonomie: CO2-Budgets und Klimaschulden
Weitere Informationen
- Juli 2024 UBA: Grundlagen von CO₂-Budgets - Hintergrundpapier
- 25.03.2024 Umweltrat: Wo stehen wir beim CO₂-Budget? Eine Aktualisierung
- 5.11.2023 BR: Neue Studie: Viel weniger vom CO2-Budget übrig als gedacht
- Pressemitteilung des BVerfG vom 29.4.2021: Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich
Diskussion zur CO2-Restbudget-Debatte
Ein Vortrag organisiert von Zukunft für Kinder e.V.
Ein interessanter Vortrag zur Frage, wie die Klimaziele aus der Übereinkunft von Paris (die 1,5 Grad- oder die deutlich unter zwei Grad-Grenze) mit einem Restbudget an CO2-Emissionen zusammen hängt, wie die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht sich zu dem Restbudget für Deutschland geäußert haben und was aus wissenschaftlicher Sicht zu der politischen Diskussion um ein Restbudget zu sagen ist.