Klimaschutz und Geschlechtergerechtigkeit
erschienen im Newsletter #28 (September 2023)
Geschlechtsspezifische Aspekte der Klimakrise? Was soll das? Trifft die Klimakrise nicht uns alle gemeinsam? Ob wir in einem männlichen oder in einem weiblichen Körper zur Welt kommen, hat Einfluss darauf, welche Chancen, Privilegien oder Freiheiten uns zugestanden werden. Macht, Verantwortung, Ressourcen und Rechte sind weltweit ungerecht verteilt. Zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich und auch zwischen Frauen und Männern.
Im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe sind diese Schieflagen nicht nur beklagenswert. Sie verhindern einen wirkungsvollen Klimaschutz. Die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, Entkolonialisierung und Geschlechtergerechtigkeit im Rahmen von Klimaschutzmaßnahmen sind daher wichtige Verknüpfungen.
Geschlechtsspezifische Folgen der Klimakrise
„Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie wissen wir, dass Extremereignisse wie Kriege, Vertreibung, Flucht, Naturkatastrophen oder Pandemien sich auf Frauen und Mädchen besonders negativ auswirken und die bestehenden Ungleichheiten vertiefen.“
– UN Women, 2022
Hunger, Flucht und Extremwetterlagen sind weltweit die bereits offensichtlichsten Folgen des fortschreitenden Klimawandels. Hier sind Frauen in vielfacher Hinsicht besonders betroffen:
- Hungersnöte: Frauen sind in der Regel für die Versorgung der schwächeren Familienangehörigen zuständig. Nahrungsmittelherstellung und Trinkwasserversorgung werden durch den Klimawandel in vielen Regionen erschwert zu Lasten der Gesundheit insbesondere von Kindern und Frauen. Zudem bewirken Hungersnöte einen Anstieg von Gewalt, Zwangsverheiratung, Kinderehen und Zwangsprostitution.
- Flucht: 80 % der inzwischen mehr als 30 Millionen Klimaflüchtlinge sind weiblich und in besonderem Maß Gewalt und sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Die Sorge für schwächere Familienangehörige erschwert das Erreichen sicherer Zufluchtsorte. Obwohl weltweit mehr Frauen und Kinder als Männer auf der Flucht sind, erreichen sie zu einem weitaus geringeren Anteil ein sicheres Aufnahmeland.
- Extremwetterlagen/Katastrophen: Frauen und Kinder sterben bei einer Katastrophe mit 14-mal höherer Wahrscheinlichkeit als Männer. Bei einem Zusammenbruch der Infrastruktur können in der Regel weder Gewaltschutz noch die Versorgung vulnerabler Personengruppen gewährleistet werden.
Auch in Europa verschärft jede Krise die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, erhöht die Belastung für die in der Sorgearbeit Tätigen (80 % Frauen), verschärft das Armutsrisiko, gefährdet die Gesundheit und lässt die Gewalt ansteigen.
Frauen als Motor der Veränderung
In der Klimabewegung spielen Frauen weltweit eine sichtbare und dominante Rolle. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Geschlechter wird hier selbstverständlicher gelebt als in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dies ist für Graswurzel- und Widerstandsbewegungen nicht ungewöhnlich.
Studien belegen, dass bei Frauen eine höhere Bereitschaft zu beobachten ist, der drohenden Klimakatastrophe durch Verhaltensveränderungen zu begegnen. Männer setzen sich – statistisch gesehen – eher für technische Lösungen ein.
Die Wirkungskraft dieser Veränderungsbereitschaft wird begrenzt: In Entscheidungsgremien sind Frauen weltweit unterrepräsentiert, von Machtzentralen oftmals ausgeschlossen, Ressourcen, Geld und Besitz werden ihnen vorenthalten.
Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, leisten 75 % aller Arbeitsstunden, beziehen aber nur 10 % aller Einkommen und verfügen über 1 % allen Besitzes. Im Kampf gegen die fortschreitende Erderwärmung könnten Frauen eine wichtige Rolle spielen, wenn ihr Potential eine entsprechende Wirkungskraft erzielen würde.
Hier drei Beispiele für Deutschland:
- Energiewende: Frauen treffen laut Umfragen klimafreundlichere und nachhaltigere Entscheidungen und unterstützen die Energiewende, sind aber in Wirtschaft und Politik unterrepräsentiert. Der Anteil weiblicher Führungskräfte in der Energiewirtschaft lag hierzulande 2021 bei 15,5 Prozent.
- Ernährungswende: Doppelt so viele Frauen wie Männer ernähren sich vegetarisch und achten bei ihren Einkäufen auf Bio-Produkte. Die Preis- und Subventionspolitik macht es für viele Haushalte jedoch unerschwinglich, sich klimaschonend zu ernähren. In der deutschen Landwirtschaft sind die Führungspositionen nur zu 11 % mit Frauen besetzt.
- Mobilitätswende: Frauen zeigen eine höhere Bereitschaft als Männer, auf ein Auto zu verzichten und sind eher auf öffentliche Verkehrsmittel, Fuß- und Fahrradwege angewiesen. Im Bundesverkehrsministerium sind alle Abteilungsleiterposten mit Männern besetzt. In der gesamten Verkehrsbranche sind Frauen in Entscheidungsgremien unterrepräsentiert.
Das Gleiche gilt weltweit: Studien der FAO zeigen, dass allein die Gleichstellung von Frauen und Männern in der globalen Landwirtschaft den Hunger in der Welt um 20 bis 30 % reduzieren könnte. Der ungehinderte Zugang von Mädchen zu Bildung, zu kostenlosen Verhütungsmitteln sowie das Verhindern von Kinder- und Zwangsehen hätten eine entscheidende Wirkung auf das weltweite Bevölkerungswachstum. Statistiken zeigen, dass Regierungen mit einem hohen Frauenanteil eher Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und eher innovative Klimaschutzprojekte anstoßen.
Fazit
Um die Klimakrise zu bewältigen, müssen wir die Geschlechtergerechtigkeit bei allen Strategien und Maßnahmen mitdenken. Wenn wir die weibliche Hälfte der Menschheit zum gleichberechtigten Handeln und Entscheiden ermächtigen, steigen unsere heute noch verbleibenden Chancen, eine Klimakatastrophe abzuwenden.
„Die Klimakrise ist ohne die Gleichstellung der Geschlechter nicht zu bewältigen.“
– UN Women, 2022
Quellen:
- www.frauenrat.de/neues-positionspapier-klimagerechtigkeit-jetzt/
- www.globalcitizen.org/de/content/oxfam-inequality-report-2022-billionaires-covid-19/
- unwomen.de/klima-und-gender/
- www.genanet.de/
Rike, Newsletter-Team