Kulturelle Revolution

Kulturelle Revolution

Gedicht
Inga Thao My Bui

von Inga Thao My Bui, Students for Future Mainz (@meinnameistmy)

vorgetragen bei der Podiumsdiskussion der Scientists for Future Mainz am 12. Oktober 2023 in der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

erschienen im Newsletter #30 (Dezember 2023)

 

Hallo, mein Name ist My
Und ich teile mit euch meine Vision
Eine kulturelle Revolution
Mit anderen Werten, mit anderem Maßstab
Weil durch Härte unser Herz starb
Wir verschlossen unsere Augen
Hörten ganz bewusst nicht hin
Unsere Hände, ja sie raubten
Denn wir sprachen nur noch vom Gewinn
Wir sind Opfer unseres Neides
Unseres Geizes, weil es geil ist
Wir sind Puppen unserer Werke
Unserer Märkte, unsere Stärke
Wir sind Narren des Systems
Und das Problem, wir können‘s nicht sehen
Denn alles Schlechte, Ungerechte
Ausgelagert ganz weit weg
Und all das Echte und Gerechte
Abgemagert in uns‘rem Dreck
Ja, wir zogen uns zurück
Die Verantwortung zu groß
Laufen lieber stets gebückt
Unser Wohlstand, unser Trost
Ein Desaster nach dem andren
Was ein Mitleid wir empfanden
Kaum zu glauben, was ein Abschaum
Wenn wir Menschen einander rauben
Doch das Gefühl, das schwindet schnell
Und wenn ich's will, dann ist's okay
Ja, zu denken, ich kanns nicht ändern
Passiert ja eh in anderen Ländern.

Und so macht man munter weiter
Kauft sich lauter bunte Kleider
Und schnell hat man vergessen
Wir sind vom Konsum besessen.
Einmal hin, alles drin
Selbst wenn ich das nicht einmal brauchte
Wars das Schild, ja was mir hauchte
Dass ich sonst nicht glücklich bin
Und so sagt mir dann die Wirtschaft
Die mit allem nur Profit macht
Mir noch mehr Geld anzuhäufen
Um noch mehr Glück mir zu kaufen
Ein System, gut zum vergleichen
Dort die Armen, da die Reichen
Ist man dankbar und sagt Amen
Kann man nie groß was erreichen
Und dann denkt man oft, die anderen haben mehr
Das ist nicht fair
Dabei haben wir‘s nicht verstanden
Überfluss macht uns ganz leer
Man sagt Kleider machen Leute
Ich sag leider lassen heute
Leute ihre Kleider machen
Lassen Häuser dabei krachen
Wir verdammen
Menschenleben
Alles stürzt in sich zusammen
Hat man Blut am T-Shirt kleben
Will man dann es nicht mehr ham'
Wie paradox die Welt doch ist
Will man alles im Besitz
Doch wenn's um Schuld geht, ist man's nicht
Und bei der Frage:
Wer war‘s dann?
Ist es einfacher zu sagen,
Dass man selbst dafür nichts kann
Es ist niemand oder alle
Eine richtig fiese Falle
Die uns alle schuldig macht
Wer hat sich das denn ausgedacht?
Nun, die Antwort, die ist schlicht
Geld und Macht führ'n uns ins Licht
Der Verblendung, man sieht nichts
Außer sich, das Ego, ICH
Und die anderen? Egal!
Eine viel zu große Qual
Würd ich mich damit befassen
Würd ich mich ja nur noch hassen
Und so höre ich nicht hin
Find‘s einfach gut, so wie ich bin
Bin ja freundlich, bin ganz nett
Lächle immer ganz kokett
Sage meistens auch die Wahrheit
Schaffe ab und zu für Klarheit
Doch das Leid ist mir zu schrill
Und fürs Gewissen ists zu still
Ja, ich weiß, es ist beschissen
Keine Ahnung, was ich will
Aber ein faires Leben mit hohen Preisen
Kann ich mir leider nicht leisten
Will ja schließlich auch noch Reisen
Und nicht an einem Ort nur bleiben
Ich mein, ich muss hier ständig geben
Will mir auch mal Pause nehmen
Denn das Leben ist zu kurz,
Um nur vom Arbeiten zu reden
Man muss sich mal belohnen
Seine Seele auch mal schonen
Mit dem Geist im Körper wohnen
Und am besten kann ich's weit weg von hier
Und ich glaub, ich gönne mir
Mal richtig Luxus von Kopf bis Fuß
Nur so kann ich Frust und Wut
Einmal kurz bei Seite legen
Um mal nur über schöne Dinge im Leben zu reden
Am liebsten am Strand mit weißem Sand
Ein Cocktail in der einen Hand
In der anderen ein Buch, der Inhalt
Mir noch unbekannt
In welches Land? Ist nicht so wichtig
Hauptsache der Preis ist richtig
Ich will für möglichst wenig Geld
An die schönsten Orte dieser Welt
So wie nach der Schule, da wollen viele raus
Denn zu klein und vertraut ist das eigene Haus
Entweder macht man Work and Travel in Neuseeland
Denn Australien ist unter Deutschen schon zu bekannt
Oder man geht in die Staaten
Um dort als Au-Pair-Kraft durchzustarten
Oder man macht ein FSJ in Afrika oder Südamerika
Denn durch ein freiwilliges soziales Jahr
Wird einem doch so viel klar
Weil man Armut so richtig live erlebt
Und danach die Welt so viel besser versteht
Denn auf der Reise war man in Silberminen
Um zu sehen, wie die Bolivianer ihr Brot verdienen
Für zwei drei Stunden
Konnte man einen Einblick gewinnen
Und die Luft schnuppern
Die den Arbeitern von innen
Später mal den letzten Atemzug rauben
Weil sie diese ätzenden Gifte jeden Tag einsaugen
Man selbst hat das Leid am eigenen Körper gespürt
Und trotzdem lässt es einen unberührt
Wenn man sich hier die neuste Technik anschaut
Und sich dann wieder ein neues Handy kauft.
Man denkt, dass man diesen
Massentourismus machen darf
Weil man ein Jahr brav
Im Kindergarten saß
Und den kleinen Niños Englisch beibracht.
Ja, ich rede von mir und jetzt stehe hier
Und will mich selbst als schlechtes Beispiel nehmen
Denn will ich kritisieren
Muss ich auch selbst Zeugnis geben
Über mein eigenes Leben
Und mein eigenes Handeln
Ich kann erst dann die Welt verwandeln
Wenn ich mein Verhalten reflektiere
Und mich nicht als makelloses Vorbild präsentiere
Ich war nicht perfekt
Und bin es immer noch nicht
Aber im Endeffekt
Zählt doch jeder Schritt
Der in die richtige Richtung geht
Und das ist der Fall, wenn man das Verständnis hegt
Dass man Kultur erst dann versteht
Wenn man mit Menschen dort auf Augenhöhe lebt.
Aber was bedeutet Augenhöhe eigentlich?
Erniedrige ich mich oder erhöhe ich dich?
In beiden Fällen ist es offensichtlich
Dass das nicht Augenhöhe ist
Für mich bedeutet es, die Augen zu schließen
Um mit dem Herzen zu hören
Dass keine Vorurteile sprießen
Die die Liebe zerstören
Wir denken, wir hätten interkulturelle Kompetenzen
Obwohl wir durch Kultur unser Denken beschränken
Es sind Schranken, die unseren Frieden begrenzen
Und Grenzen, die uns‘re Liebe ja bremsen
Dabei ist Liebe doch grenzenlos
Und ich frag mich, was machen wir Menschen bloß?
Wir erschaffen Industrien, die Schaden anrichten
Wir vertreten Ideologien, die Leben vernichten
Wir sehnen uns nach Geld
Weil wir unglücklich sind
Dabei zerstören wir die Welt
Denn Gewinn macht uns blind
Wir spüren keine Liebe
Weil das Herz sich verschließt
Und so führen wir Kriege
Weil der Hass in uns siegt
Erst dann spüren wir Leid
Doch nach einiger Zeit
Scheint alles vergangen
Und dann wird alles von vorne anfangen
Wir schreiben also Geschichte
Und lernen nicht draus
Deswegen schreib ich Gedichte
Denn ich halt‘s nicht mehr aus
Ich kann nicht so tun
Als würd‘ ich das Leid nicht sehen
Und unberührt über Leichen gehen
Ich kann nicht so tun
Als würd Ich das Klagen nicht hören
Wenn wir Rechte zerschlagen und Träume zerstören
Ich kann nicht so tun
Als gäb‘s keine Probleme
Nur weil ich die Verantwortung nicht übernehme
Ich kann nicht einfach nichts tun
Als wär ich immun
Gegen all die Folgen des Konsums
Also fang ich an zu handeln
Und ja, meine Vision ist es
Die Welt zu verwandeln
Und ja, ich weiß, wie unrealistisch das ist
Und dass man klein anfangen sollte
Schritt für Schritt
Und genau deswegen bitte ich dich:
Hilf mir und mach mit
Denn sonst bleibt meine Revolution
Leider nur eine Illusion.

 

Einen schönen Eindruck von dem Gedicht erhält man in dem Youtube-Video der Veranstaltung – von 2:23 h bis 2:32 h.