Do the next right thing

Do the next right thing

Frozen und Etappenziele

von Corinna Schäfer

"I won't look too far ahead
It's too much for me to take
But break it down to this next breath, this next step
This next choice is one that I can make.
So I'll walk through this night
Stumbling blindly toward the light
And do the next right thing.
And, with it done, what comes then?
When it's clear that everything will never be the same again?
Then I'll make the choice to hear that voice
And do the next right thing."

Frozen

Ja, ich bin ein Fan von Disney's Frozen. Ich mag auch Schnee — also richtigen Schnee, nicht den Schneematsch den es hier bei mir in der Stadt höchstens mal gibt. Ich schaue gerne Dokus über die Polarregionen. Und ich sehe nicht so gerne die Prognosen, in denen Arktis und Antarktis einer Zukunft entgegen sehen, die der Schneemann Olaf sich in dem Lied "In Summer" so wunderbar naiv ausmalt. Denn leider leben wir nicht in einem Disneyfilm, keine Eiskönigin bewahrt die Polkappen und die Schneeskulpturen im Vorgarten vorm Schmelzen und die Politik, deren Aufgabe es wäre, umfangreich und zeitnah zu handeln, ist, nunja, sagen wir: frozen.

Das Gefühl, frozen zu sein, kennen wir. Nichts tun zu können, den äußeren Umständen ausgeliefert zu sein, ist spätestens seit den ersten Coronalockdowns, wo wir das öffentliche Leben eingefroren haben, ein durchaus bekannter Zustand. Aber je mehr wir über die Krise wussten, desto besser wurde es: Abstand, Maske, Lüften, Impfen: die Palette an Maßnahmen, die man selbst ergreifen konnte, wuchs mit dem Wissen, das wir erlangten.

Mit der Klimakrise ist es genauso. Und die gute Nachricht ist: Wir wissen sehr viel über die Ursachen, Folgen und Gegenmaßnahmen. Weniger fliegen, Tempolimit, allgemein Mobilitätswende, Erneuerbare Energien, pflanzliche Ernährung, so viele Maßnahmen, mit dem man das Klima schützen kann, sind bereits jetzt bekannt.

Ironischerweise erlebe ich im Diskurs darüber aber einen wie ich finde spektakulär absurden Anspruch an Perfektion, der dazu benutzt wird, es sich im bequemen Eispalast des Status Quo gemütlich zu machen. (Spoileralarm: Die Klimakrise wird den Eispalast schmelzen. Macht ne Photovoltaikanlage aufs Dach, um den Prozess zu verlangsamen und eure Kühlaggregat zu betreiben.)

Perfect is the enemy of good

Was meint das, Perfektion ist der Feind des Guten? Treibt euch fünf Minuten in einschlägigen Kommentarspalten herum, und ihr wisst, was ich meine. 

"Aber nachts scheint keine Sonne!", "Und wenn mal kein Wind weht?", "Aber hier im Dorf fährt der Bus nur zweimal am Tag!", "Soll ich jetzt wie Greta nach Amerika segeln?", "Wo soll ich denn mit ner Mietwohnung ohne festen Stellplatz mein Elektroauto laden?", "Meine Waschmaschine kann ich mit nem Lastenrad aber kaum 800 km quer durch die Republik transportieren!", "Soll ich jetzt Urlaub nur noch auf Balkonien machen?"

Wir lehnen Lösungen ab, weil sie alleine nicht den Maximaleventualbedarf decken.

Ironischerweise waren wir bei Corona schon mal weiter. Wir haben Masken getragen, Abstand gehalten, gelüftet und uns impfen lassen, nicht weil das alles für sich 100 % wirksame Maßnahmen waren, sondern weil alles zusammen massive Risikoreduktion für uns selbst und für die Leute um uns herum mit sich brachte.

Genau dahin müssen wir jetzt auch beim Klimaschutz kommen: Wir müssen jetzt die Lösungen, die für vielleicht 80 % der Bevölkerung schon gut funktionieren können, umsetzen, damit wir das nötige CO2-Budget übrig haben, während wir die Lösung für die restlichen 20 % austüfteln.

Konkret: Wir müssen jetzt Wind- und Solarenergie ausbauen, um auf 80 % Erneuerbare Energien zu kommen, statt tatenlos auf neue Atomkraftwerke zu hoffen, die frühestens in zehn Jahren am Start wären. Wir müssen jetzt private PKW in den großen Städten weitgehend obsolet machen, statt demnächst mit dem Elektro-SUV 500 m zum Bäcker zu fahren, damit das Restbudget im Verkehr für diejenigen reicht, die wirklich einen Verbrenner fahren müssen. Wir müssen Neubauten und Sanierte Bestandsbauten mit erneuerbaren Energien heizen können, damit der Mehrfamilienhausaltbau, der wirklich partout unter keinen Umständen mit einer Wärmepumpe (oder Fernwärme aus Erneuerbaren Energien) geheizt werden kann, damit der noch weiter CO2 aus dem Schornstein pusten kann.

Überall dort, wo wir jetzt schon handeln können, müssen wir auch handeln!

Dabei braucht es sowohl politische als auch individuelle Handlung von jeder und jedem Einzelnen. Nicht allen fällt das auf Anhieb leicht. Sicher klingt ein Elektroauto mit "nur" 300 km Reichweite, Carsharing oder ein Lastenfahrrad für so manchen Durchschnittsdeutschen zunächst nach einem miesen Provisorium. Aber wie das so ist mit Provisorien: Mit manchen kann man sich wirklich gut dauerhaft arrangieren, und ehe man es sich versieht, ist das Provisorium plötzlich gar kein zähneknirschender Kompromiss mehr, sondern eine gut funktionierende Lösung (weil viele eben nur selten 300 km am Stück fahren müssen).

Damit das gelingt, brauchen wir gleichzeitig von der Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür. Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch hier vor Ort: Mut zu autofreien Innenstädten, Inspiration und Adaption aus funktionierenden Ansätzen in Paris, Kopenhagen, den Niederlanden; guter ÖPNV, Sharinganbieter, Ausbau von Ladepunkten, das alles geschieht hier!

Und damit das alles funktioniert, brauchen wir breite Mehrheiten. Fridays for Future ist als Klimastreik-Bewegung international, überparteilich, unabhängig und dezentral organisiert. Ich erinnere mich an einen Kommilitonen, der bei einem Klimastreik mitlief und ein bisschen Bammel hatte, gesehen zu werden, weil er bei der Jungen Union aktiv war. Aber Klimaschutz war ihm wichtig, und so tat er das aus seiner Sicht Richtige und ging zur Demo. Diese Breite der Gesellschaft ist wichtig.
 

Etappen

Es gibt Bereiche, wo wir tatsächlich einen Einfluss nehmen können auf Emissionen, die wir verursachen, andere Bereiche entziehen sich unserer Kontrolle. Keiner kann im Alleingang ein Kohlekraftwerk abschalten. Was fast jeder kann: Politiker*innen und Leute an Schaltpositionen kontaktieren und sich für mehr Klimaschutz, egal in welcher Hinsicht, einsetzen. 

Du bist so konservativ, dass du vom Gender-* gerade Schluckauf bekommen hast, aber möchtest, dass deine Kinder nicht ständig zum Geigenunterricht oder Tennisverein mit dem Auto kutschiert werden müssen? Kontaktiere die örtliche CDU und fordere sichere Radwege, damit sie dort alleine hinfahren können. 
Kein Tempolimit ist für dich der Inbegriff von Freiheit? Kontaktiere die örtliche FDP und fordere bessere Ladeinfrastruktur für Elektroautos, damit dich Physikgören wie ich nicht mehr nerven mit Statistiken über Spritverbrauch bei hohen Geschwindigkeiten und die Ineffizienz von Verbrennungsmotoren.
Du arbeitest im Schichtbetrieb und der verdammte ÖPNV ist einfach nicht auf die Arbeitszeiten abgestimmt? Kontaktiere deine örtlichen Politiker*innen und fordere Abhilfe!

Ich könnte diese Liste beliebig lang fortsetzen, aber möchte noch eine kleine Anmerkung machen: Niemand verpflichtet euch, dass ihr das, was ihr fordert, am Ende selbst nutzt, das wäre zwar schön, aber ihr könnt auch weiter wie bisher die Kinder mit dem Auto überallhin chauffieren und danach mit 200 Sachen über die Autobahn kacheln, und die besseren Fahrradwege, Ladeinfrastruktur und den ÖPNV anderen überlassen: Es ist komplett okay, Dinge für andere zu verbessern. Mehr Radverkehr/ÖPNV-Nutzung heißt weniger Autos auf der Straße, das kann man auch ganz eigennützig als Autofahrer*in fordern.

Und vielleicht, nur vielleicht, radelst du irgendwann auch mal 5 km ins Büro, weil ja heute schönes Wetter ist, und der neue Radweg ist ja nun schon da, da kann man den ja mal ausprobieren. 

Die Entscheidung, sich möglichst klimafreundlich verhalten zu wollen, kann aber auch sehr schnell überfordern. Ist jetzt Bio-Gemüse aus Spanien oder konventionell und plastikverpackt aus den Niederlanden besser, muss ich wirklich auf meinen Urlaub verzichten, weil das Zugticket dreimal so viel wie der Flug kostet und das Budget das nicht hergibt, und wie kann ich überhaupt noch glaubwürdig für Klimaschutz eintreten, weil ich nicht-vegane Käsespätzle gegessen habe?

Gewisse Medien vertreten gerne solche Auffassungen von Absolutheitsansprüchen, und sie übertragen sich auf uns, sodass wir leicht in Versuchung kommen, uns selbst gegenseitig härter zu kritisieren als es diese Medien tun. Dabei ist Perfektion immer noch der Feind des Guten, und niemand hat etwas davon, wenn wir uns in Grabenkämpfen gegenseitig auslaugen. 

Jeder kleine Schritt, der getan wird, ist besser als ein größerer Schritt, der nicht gewagt wird.

Der Verzicht auf das eigene Auto etwa: Die wenigsten Autobesitzenden könnten von jetzt auf gleich darauf verzichten. Aber sehr viele (nicht alle) könnten einzelne Fahrten ersetzen mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV. Damit ist schon der erste Schritt geschafft. Für den nächsten bräuchte es vielleicht mehr Kondition oder gute Regenklamotten oder einen sicheren Radweg, aber der erste Schritt in die richtige Richtung ist getan. Und so ein erster Schritt bringt oft auch Mut, Motivation und Ehrgeiz, den nächsten Schritt zu schaffen.

Die wenigsten Menschen werden auch über Nacht vegan, obwohl sie das gerne schaffen würden. Viele versuchen es erstmal vegetarisch, scheitern aber auf dem Weg, weil ihr einstiges Lieblingsessen leider nicht fleischlos ist und sie den dauerhaften Verzicht schlicht noch nicht übers Herz bringen. Oder sie sind erfolgreich und haben dann aber nicht die Kapazitäten frei, sich so mit Ernährung auseinanderzusetzen, dass sie sich zutrauen, sich auf gesunde Weise rein pflanzlich ernähren zu können. Ein paar Leute schaffen das, und der Rest bleibt irgendwo in der Vegetarier/Flexitarier-Zone stecken. 

Scheitern ist menschlich, es zu kritisieren mindestens fragwürdig, oft aber auch zusätzlich entmutigend.

Egal, welches Thema man betrachtet: Bei diesen anspruchsvollen Änderungen der Lebensweise sind auch Teilerfolge eben Erfolge. Was manche als Scheitern ansehen, weil nur 80 % erreicht wurden, ist dennoch eine massive Verbesserung (Achtung, dieser Satz gilt so explizit nur für individuelle Handlung, nicht für politische, denn momentan sind die Zielsetzungen dort längst nicht ausreichend, sodass 80 % davon nichtmal das bare minimum erfüllen). Also, wenn wir ab und zu einen Cheat-Day einlegen, weil wir an unseren individuellen Zielen scheitern, ist das okay und keine Heuchelei.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass dieser Text hier mit großer Wahrscheinlichkeit nur bei Leuten ankommt, die ihn gar nicht mal so nötig hätten. Und das ist ein großes Problem. Denn egal wie reich und privilegiert, die Klimakrise trifft uns alle. Nicht alle gleich, aber keiner wird komplett folgenlos da raus kommen. 

Klimakrise ist nicht wie Klassismus, den man als reiche Person ignorieren könnte. Extremwetter machen nicht halt vor einer prallen Geldbörse, auch wenn sie natürlich gut vor Existenznot als Folge bewahrt. Die Klimakrise ist nicht wie Sexismus und Misogynie, die man als Mann auch problemlos achselzuckend ignorieren könnte, weil es einen nicht betrifft. Die  Die Klimakrise ist nicht wie Rassismus, vor dem wir weiße Mehrheitsgesellschaft bequem die Augen verschließen könnten.

Fridays for future ist bemüht, diese Probleme nicht zu ignorieren. Systemische Ungleichheiten sind ein Riesenproblem, wenn es um die globale Lösung der Klimakrise geht. Dennoch: Wir brauchen breite Mehrheiten für den Klimaschutz. Und ich für meinen Teil sehe es als einen Fortschritt, wenn Friedrich Merz demnächst öfter mal Fahrrad fahren würde, auch ohne, dass er sich in allen anderen Themen vom Saulus zum Paulus wandelt.

Denn da müssen wir hin, dass wir der ganzen Gesellschaft zunächst mit diesem einen Thema Klimaschutz ein Angebot machen können, das sie unabhängig von ihren sonstigen Überzeugungen wahrnehmen können. Klimaschutz ist kein linksgrünveganantifaschistisches Splitterthema, sondern wie Fridays for future selbst international, überparteilich, unabhängig und etwas für die und von der gesamten Gesellschaft.
 

The next right thing

Seit einigen Jahren spricht sich in Umfragen eine breite Mehrheit für mehr Klimaschutz aus, sieht mehr Handlungsbedarf, wünscht sich mehr Einsatz. Diese breiten Mehrheit müssen wir aktivieren, und das geht nur, wenn die Klimabewegung anschlussfähig bleibt für diese Menschen.

Was ich mir daher wünschen würde: Reden wir mehr über Lösungen, die wir für uns als Optimum gefunden haben. Mit dem Kumpel darüber, dass wir Lasagne jetzt mit Sojageschnetzeltem kochen statt Hack, obwohl wir gar nicht vegan leben, weil es billiger ist und auch gut schmeckt. Mit der Kollegin, dass man eine schöne Route zur Arbeit gefunden hat, die man bei schönem Wetter wunderbar entspannt entlang radelt. Mit dem Nachbarn, wie viel man mit der Photovoltaikanlage jetzt an Stromkosten spart.

Reden wir mehr über Wege, wie wir dieses Anliegen Klimaschutz an die Politik herantragen. Schwärmen wir bei den Eltern, wie cool es ist, bei Critical Mass und Fahrraddemos einfach mal glatten Straßenbelag zu erleben und angstfrei auf Wegen zu fahren, die nicht plötzlich enden. Erzählen wir von den kleinen Kämpfen in der Bürgerinitiative, die sich für Geschwindigkeitsbegrenzungen und Lärmschutz einsetzt. 

Das Ziel ist klar und allen bekannt. Jetzt müssen wir anfangen, loszugehen und Schritt für Schritt immer die nächste Entscheidung für klimafreundlichere Optionen umsetzen. Wie groß wir im einzelnen unsere Schritte planen, ist sekundär, wichtig ist, dass wir jeden davon gehen. Denn sonst bleiben wir frozen - bis irgendwann die Klimakrise uns gewaltsam auftaut.


Vielen Dank an Corinna - für diesen wertvollen Beitrag und dafür, dass wir ihn nutzen dürfen!