Gesundheit braucht Klimaschutz
erschienen im Parents-Newsletter #26 (Mai 2023)
Bei Health for Future (H4F) engagieren sich Pflegefachkräfte, Therapeut*innen, Ärzt*innen und viele weitere Angehörige der Gesundheitsberufe für Klimagerechtigkeit und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen sowie der Biodiversität des Planeten als Voraussetzung für unsere Gesundheit, denn: Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Rike vom Newsletter-Team hat sich mit Sonja Schmalen, der Netzwerkkoordinatorin von H4F, unterhalten.
Frage: Liebe Sonja, du bist aktiv bei Health for Future. Seit wann gibt es euch und was war der Anlass, sich zu dem Thema Gesundheit zusammenzuschließen?
Antwort: Wie viele andere For-Future-Bewegungen wurde auch Health for Future 2019 gegründet und ebenso solidarisieren wir uns mit Fridays for Future.
An der Charité in Berlin fand Ende 2018 die erste fünftägige Mahnwache "Patientin Erde auf der Intensivstation" statt. Dabei wurde die "Patientin Erde" von Mediziner*innen behandelt und interessierte Menschen wurden über die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise aufgeklärt. Daraufhin wurde durch die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG) Health for Future (H4F) initiiert. Seitdem sind wir in Deutschland, Belgien, Österreich und der Schweiz ein aktives Aktionsbündnis aus Angehörigen der Gesundheitsberufe, die das Thema "Planetare Krisen und Gesundheit" zu ihrem Anliegen gemacht haben.
Was vielen nicht bekannt ist: Allein der Gesundheitssektor verursacht zwischen 5 und 6 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland. Wir sind also heilende und verursachende Kraft gleichzeitig.
Frage: Kannst du etwas über eure Organisationstruktur sagen?
Antwort: H4F ist eine Bewegung, die sich basisdemokratisch organisiert. Unsere Visionen und Missionen haben wir in einem Selbstverständnis formuliert. Alle zwei Wochen finden unsere Bundestreffen statt, und unsere Bundesarbeitsgruppen und Ortsgruppen haben ein hohes Maß an Autonomie und Selbstorganisation. Unser Fokus liegt klar auf dem Handeln!
Frage: Wer ist alles dabei und wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Antwort: Zu Beginn waren wir überwiegend Mediziner*innen. Mittlerweile sind viele weitere Gesundheitsberufe und Menschen, die sich mit dem Gesundheits-Narrativ identifizieren können, hinzugekommen. Ich z. B. bin Ergotherapeutin. Wir freuen uns über Vielfalt. Das passt auch wunderbar, da wir vom Konzept der "Planetaren Gesundheit" ausgehen. Das ist ein lösungsorientiertes, transdisziplinäres Konzept und gleichzeitig eine soziale Bewegung. Kurz gesagt mit den Worten von Eckhard von Hirschhausen: "Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten."
Frage: Gesundheit ist ja ein weites Feld. Kannst du einige Projekte oder Themen nennen, die ihr bisher angegangen seid? Was waren aus eurer Sicht die wichtigsten Aktionen?
Antwort: Unser Leitgedanke ist "Klimaschutz braucht Gesundheitsschutz und umgekehrt". Befindet man sich in der Notaufnahme, ist das Schlimmste, was man machen kann, nichts zu tun. Genauso ist es mit den planetaren Krisen – die Fähigkeit, vom Wissen ins Handeln zu kommen, ist essenziell. Wir kennen die Diagnose, wir wissen, dass wir einen Notfall haben, wir müssen die Behandlung schnellstmöglich beginnen!
Gerade im Sommer hat beispielsweise die Hitze gesundheitliche Folgen, seien es Erschöpfung, Sonnenbrand oder schlimmer: Hitzschlag oder Hautkrebs. Unsere
Produktivität wird reduziert, Arbeit im Freien wird zur Gesundheitsgefahr. Gerade sehr junge und ältere Menschen, chronisch Kranke oder sozial benachteiligte Menschen leiden am meisten unter Hitze. Hier wird auch die Dimension der sozialen Gerechtigkeit spürbar. Die Zahl der Hitzetoten steigt!
Unsere Ortsgruppe Köln hatte hierzu im letzten Jahr die Aktion "Veedelstode". Auf dem Bild sieht man, dass sich die Aktiven auf den Boden gelegt und mit Kreide umrandet haben. In Köln gab es ungefähr 75 Hitzetote. Dieses Jahr findet am 14.06. ein bundesweiter Hitze-Aktionstag statt.
Alle sind eingeladen, unter dem Hashtag #MitHitzeKeineWitze auf Hitze und die Folgen aufmerksam zu machen.
Frage: Wo seid ihr aktuell dran?
Antwort: An vielen Themen, so dass für jede Person etwas dabei ist. Neben den Themen, die schon Strukturen haben, planen wir zwei bundesweite Kampagnen. Bei der einen Kampagne geht es um die Ernährung nach der "Planetary Health Diet" in Krankenhäusern. Die andere stellt Forderungen nach einem konkreten Maßnahmenplan zur Umsetzung eines klimaresilienten Gesundheitswesens auf, wie es im Klimapakt Gesundheit vom Bundesministerium für Gesundheit formuliert ist.
Die Ortsgruppen und Arbeitsgruppen arbeiten je nach Gelegenheitsfenstern an weiteren Themen. Die Krise ist komplex, darum brauchen wir viele Aktive von allen Seiten. Unsere Arbeitsgruppe Bildung hat beispielsweise gerade einen Aufruf gestartet zum Thema Gesundheitsschulfach für lebenswerte Zukunft jetzt! Wir sind der Auffassung, dass in der Bewältigung der Klimakrise zugleich die größte Chance für die menschliche Gesundheit liegt, wenn es gelingt, so früh wie möglich gesundheitliche Chancengleichheit durch die Ausbildung von Gesundheitskompetenz bereits im Kindesalter zu schaffen. Gemeinsam mit dem 126. Deutschen Ärztetag sehen wir daher die Notwendigkeit, ein eigenes Schulfach "Gesundheit und Nachhaltigkeit" einzuführen. Hierdurch könnte eine kontinuierliche Förderung der Gesundheitskompetenz unabhängig vom sozioökonomischen Status ermöglicht werden. Falls du Lust hast, kannst du den Aufruf gerne unterzeichnen.
Frage: Die persönliche Gesundheit ist allen Menschen zwangsläufig sehr wichtig. Meint ihr, dass über dieses Thema auch Menschen zu erreichen sind, die sich
bisher wenig oder gar nicht mit der Klimakrise auseinandergesetzt haben?
Antwort: Definitiv. Gesundheit betrifft jede Person und ist, wie das Klima, ein parteiübergreifendes Thema. Den meisten Menschen ist der Zusammenhang zwischen den derzeitigen Entwicklungen und unserer Gesundheit leider nicht bewusst. Dass beispielsweise jetzt Allergien zunehmen und länger Beschwerden verursachen, dass das Risiko für Hautkrebs höher geworden ist und unsere mentale Gesundheit beeinträchtigt wird – dies sind nur einige Beispiele.
Gerecht gestaltete Klima- und Umweltschutzmaßnahmen sind oft unmittelbar notwendig und förderlich für unsere Gesundheit. Zu den positiven Effekten, den sogenannten Co-Benefits, gehören z. B. saubere Luft durch aktive Mobilität wie Fahrrad fahren oder Laufen, weniger Volkskrankheiten durch eine pflanzenbasierte Ernährung (Planetary Health Diet) und psychische Gesundheit durch Selbstwirksamkeit. Hier liegt die größte Chance für unsere Gesundheit in diesem Jahrhundert!
Frage: Wenn Ortsgruppen dieses Thema aufgreifen wollten, welche Möglichkeiten bietet ihr an, z. B. Materialien oder Vorträge?
Antwort: Wir haben auf unserer Website unter Materialien einiges veröffentlicht, beispielsweise passend zum Thema Bildung einen Workshop "Patientin Erde" für Kinder in der Grundschule und eine Präsentation "aktiver Schulweg" für einen Elternabend. Über die Mailadresse kontakt@healthforfuture.de sind wir zu erreichen und finden meistens für jede Anfrage eine Lösung oder wir vermitteln zu einem anderen Netzwerk. Das Gemeinschaftsgefühl der Klimagerechtigkeitsbewegung ist einfach wunderbar! Gemeinsam sind wir stärker und schneller.
Frage: Welche Unterstützung wünscht ihr euch?
Antwort: Jede Person, die sich mit dem Thema Klima & Gesundheit identifizieren kann, ist herzlich willkommen mitzuwirken; so, wie es zeitlich passt. Man kann sich mit den Fähigkeiten, die man mitbringt, und mit den Ideen, die einem Spaß machen, bei uns einbringen.
Frage: Wie ist der Weg, wenn jemand bei euch mitmachen oder eine eigene Ortsgruppe gründen will?
Antwort: Die über 70 Ortsgruppen findest du hier auf unserer Website, die können Interessierte einfach anschreiben. Wenn es noch keine Ortsgruppe gibt, kann diese ganz einfach gegründet werden. Du schreibst eine Nachricht an kontakt@healthforfuture.de, wir sprechen miteinander und du erhältst die technische Basis und die Unterstützung, die du benötigst, um zu starten.
Liebe Sonja, vielen Dank für die vielen Informationen und für euer Engagement!