Klimaschutz auf dem Verschiebebahnhof

Eine kritische Einordnung der Klimaschutzpolitik der Bundesregierung - Klimaschutz auf dem Verschiebebahnhof

erschienen im Parents-Newsletter #33 (Mai 2024)

Die Treibhausgas-Emissionen (THG-Emissionen) sanken erfreulicherweise im letzten Jahr so stark, dass die Bundesregierung jubelnd die Einhaltung ihrer Klimaschutzziele für 2023 verkünden konnte. Auch das 65-Prozent- Minderungsziel für 2030 kommt laut Umweltbundesamt1 in Reichweite. Sind wir also auf dem richtigen Weg und können uns beruhigt zurücklehnen? Mitnichten! Mit der aktuellen Klimaschutzpolitik der Bundesregierung kann die Treibhausgasneutralität bis 2045 nicht erreicht und schon gar nicht das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden.

Schon das KSG 2021 war unzureichend
Abb. 1: Schon das KSG 2021 war unzureichend

Rückblende: Im Frühjahr 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem wegweisenden Urteil die Bundesregierung dazu verpflichtet, schlüssige Reduktionspfade für die THG-Emissionen festzulegen, mit dem das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden kann. Die damalige große Koalition hatte daraufhin im Klimaschutzgesetz (KSG 2021) das Ziel „Nettonull bis 2045“ und verbindliche jährliche Sektorziele beschlossen. Bereits damals hatten jedoch u. a. Fridays for Future2 kritisiert, dass die Maßnahmen im KSG 2021 nicht mit dem Paris-Abkommen vereinbar sind (Abb. 1).

Unser fairer Anteil am CO2-Budget ist aufgebraucht

Inzwischen musste der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) feststellen, dass Deutschland seinen fairen Anteil am CO2-Budget zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits bereits aufgebraucht hat. Selbst zur Einhaltung eines 1,75-Grad-Limits mit 67 Prozent Wahrscheinlichkeit müsste Deutschland bei linearer Emissionsreduktion bereits 2037 CO2-neutral sein. Die Berechnungen beruhen auf aktuellen Emissionsdaten sowie verbesserten wissenschaftlichen Analysen zum verbleibenden globalen CO2-Budget. Die Bundesregierung müsste folglich die THG-Emissionen schnellst möglich reduzieren. Klientelpolitik und Warten auf neue Technologien sind hier fehl am Platz.

Selbst die schwachen Klimaschutzziele der Bundesregierung werden nicht erreicht

Werfen wir einen Blick in die innere Logik des KSG 20214 aus dem Jahr 2021: Die THG-Neutralität wurde auf 2045 vorverlegt mit dem Zwischenziel einer Reduktion um 65 Prozent bis 2030. Bei Nichteinhaltung der Sektorziele muss mit Sofortmaßnahmen gegengesteuert werden. Das beträfe aktuell den Gebäudesektor, vor allem aber den Verkehrssektor (Abb. 2).

Berücksichtigt man die lange Lebensdauer von PKW (bis zu 20 Jahre) und Heizungen (im Schnitt 25 Jahre), muss hier möglichst früh auf nachhaltige Lösungen umgestiegen werden, um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Die gerade beschlossene Novellierung des Klimaschutzgesetzes5 wirkt jedoch wie ein Verschiebebahnhof notwendiger Maßnahmen in die nächste Legislaturperiode. Mit der jetzt möglichen Verrechnung der Emissionen zwischen den Sektoren kann das Ziel der Klimaneutralität in 2045 – wenn überhaupt – nur mit extremen zusätzlichen Maßnahmen erreicht werden, wie der Verlauf im MMS 2024-Szenario in Abb. 3 verdeutlicht. Die Novellierung ignoriert damit auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, dass ein Verschieben notwendiger Maßnahmen in die Zukunft als unzulässige Einschränkung der Freiheitsgrade zukünftiger Generationen bewertet hatte.

Kumulierte sektorale Jahresemissionsgesamtmengen und kumulierte Zielerreichung der KSG-Sektoren und gesamt (2021-2030)
Abb. 2, Quelle: Umweltbundesamt

Unterlassener Klimaschutz wird teuer

Auch aus ökonomischer Sicht spricht alles für einen schnellen, effektiven Klimaschutz: Von Seiten der EU drohen Deutschland hohe Strafzahlungen6, weil die erlaubten Emissionsmengen bis 2030 vor allem im Verkehrsbereich deutlich überschritten werden. Eine Verrechnung mit Einsparungen über Plan im Energie- und Industriesektor ist hier nicht möglich. Auch rein volkswirtschaftlich sind Investitionen in Klimaschutz deutlich günstiger als die Kosten entstehender Schäden, wie eine aktuelle Studie7 des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung belegt: Die globalen Kosten der Klimaerwärmung übersteigen die Kosten für einen wirksamen Klimaschutz um das 6-fache. „Es kostet uns viel weniger, das Klima zu schützen, als dies nicht zu tun“, sagt PIK-Forscherin Leonie Wenz, die die Studie leitete.

Resümee

Die für den Klimaschutz notwendigen Veränderungen wurden in den letzten 20 Jahren versäumt und jedes weitere Aufschieben bedeutet umso extremere Schritte, die erforderlich wären, die aber auch potentiell mehr sozialen Sprengstoff beinhalten. Viele Maßnahmen wirken erst über längere Zeiträume. Deshalb müssen hier die notwendigen Schritte sofort eingeleitet werden: Bei der Gebäudewärme beispielsweise muss das Irrlicht „Wasserstoffheizungen“ aus dem Wege geräumt werden, im Verkehr gehören alle klimaschädlichen Subventionen abgeschafft. Unseren fairen Anteil an der Einhaltung des 1,5-Grad-Limits können wir damit nicht mehr erreichen, aber wir können dafür sorgen, dass unsere Klimaschulden möglichst gering ausfallen.

Entwicklung der gesamten Treibhausgasemissionen nach Quellbereichen (2019-2045)
Abb. 3, Quelle: UBA;
MMS 2024: Mit-Maßnahmen-Szenario, UBA 2024

 

Quellen:

  1. Umweltbundesamt
  2. Fridays for Future Fact Check
  3. Sachverständigenrat für Umweltfragen
  4. KSG 2021
  5. tagesschau: Novellierung des Klimaschutzgesetzes
  6. Strafzahlungen
  7. PIK-Studie: 38 Billionen Dollar Schäden pro Jahr: 19 Prozent Einkommensverlust weltweit durch Klimawandel
Beitrag: Wolfgang Schöllhammer, OG Mainz

 

Weitere Informationen

Pressekonferenz der DUH und anderer: Die Folgen einer Entkernung des Klimaschutzgesetzes