Klimakrise und Care-Krise

Die doppelte Erschöpfung

aus Parents-Newsletter #31 (Januar 2024)

„Die Klimakrise ist da – und mit ihr eher halbherzige Versuche, die ökologischen und sozialen Folgen abzupuffern. Was bei den meisten Lösungsansätzen übersehen wird, ist der unmittelbare Zusammenhang von Klima- und Care-Krise.“

(Uni Paderborn/updforfuture)

Die „Care-Krise“ bezeichnet den Notstand in Pflege, Sorge, Bildung und Betreuung. Zunehmend fehlen Pflege-, Betreuungs- und Lehrkräfte. Die professionellen Sektoren des Sorge- und Bildungsbereichs sind am Limit. Die Lücken in der professionellen Sorgearbeit müssen zwangsläufig im familiären und privaten Kontext aufgefangen werden, also dort, wo sowieso bereits der größte Anteil der erforderlichen Sorgearbeit unentgeltlich geleistet wird, so z. B. 80 % der gesamten Pflegearbeit. Die betroffenen Menschen sind zunehmend überfordert.

Wo ist nun der Zusammenhang zur Klimakrise?

Beides sind Krisen, vor denen lange gewarnt wurde und die schon jetzt die Gesundheit und die Zukunft von Menschen gefährden. Wenn sie weiterhin als Nebensächlich- keit und die Finanzierung von Gegenmaßnahmen als Luxus abgetan werden, münden sowohl Klima- also auch Care-Krise unausweichlich in humanitäre Katastrophen. Soweit die Parallelen.

Die eigentlichen Zusammenhänge liegen tiefer und werden deutlich, wenn wir uns die Ursachen dieser Krisen vergegenwärtigen: Beiden liegt der gleiche Ausbeutungsmechanismus zugrunde. Das Grundprinzip der profitablen Verwertung zugunsten eines unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums führt dazu, dass auf Ressourcen zugegriffen wird und diese bis zu ihrer völligen Erschöpfung ausgebeutet werden dürfen. Dies gilt für unsere natürlichen Lebensgrundlagen ebenso wie für die unentgeltlich oder unter prekären Bedingungen geleistete Sorgearbeit.

Menschen sind abhängige Wesen. Sie brauchen bereits vor ihrer Geburt Fürsorge und Zuwendung. In jedem Alter sind Menschen aufeinander angewiesen und davon abhängig, dass Sorgearbeit geleistet wird. Dieses „Umeinander-Kümmern“ lässt sich nicht bedingungslos kommerzialisieren und kann nicht dem Zwang der Effektivität und Profitabilität unterworfen werden. Die Negativfolgen einer solchen Ökonomisierung sind aktuell zum Beispiel im Gesundheitssystem zu spüren: Fachkräftemangel, überlastete Pflegekräfte, fehlende Arztpraxen, Klinikschließungen, lange Wartezeiten auf einen fachärztlichen Termin und vieles mehr.

Dass wir uns umeinander kümmern, ist die Basis allen Zusammenlebens und damit die Voraussetzung für jegliche Ökonomie. Ebenso sind wir auf die ökologischen Kreisläufe unseres Planeten angewiesen, um zu überleben. Natürliche Regenerationsprozesse sind ebenso wie zwischenmenschliches Kümmern, Pflegen und Sorgen eine Form von Wertschöpfung, die im marktwirtschaftlichen Denken ausgeblendet und gleichzeitig für die profitbringende Wirtschaftsleistung bedenkenlos ausgenutzt wird. Solange dieser Ausbeutungsmechanismus weiterläuft, ist die Eskalation von Care- und Klimakrise unaufhaltsam.

Erschwerend kommt hinzu, dass die beiden Krisen sich gegenseitig anheizen. Menschen, die nicht wissen, wie sie die erforderliche Sorge- und Erwerbsarbeit überhaupt in einem 24-Stunden-Tag unterbringen sollen, stehen unter ständigem Zeitdruck und befinden sich oft in einem erschöpfenden Hamsterrad. Für die Umstellung auf ein nachhaltiges Leben brauchen wir jedoch Zeit und Kraft, zum Beispiel:

  • …um uns überhaupt mit der drohenden Klimakatastrophe und mit den Ursachen der klimatischen Veränderung auseinanderzusetzen
  • …um unseren Alltag, unsere Ernährung und unser Konsumverhalten umzustellen
  • …für eine klimaschonende Mobilität
  • …für klimapolitische Arbeit, Aktivismus und gesellschaftliches Engagement
Einladung Equal Care Day


Gleichzeitig lässt die Klimakrise die erforderlichen Care-Aufgaben noch weiter anwachsen, verschärft also die Situation der Sorgeverantwortlichen zum Beispiel durch:

  • …einen Anstieg an Krankheiten, Allergien, psychische Belastungen
  • …eine aufwändigere Sorge für Kinder oder alte Menschen bei Extremwetterlagen
  • …eine Zunahme an unterschiedlichen Hilfebedarfen in Folge von Katastrophen
  • …eine zunehmende Überlastung der professionellen Hilfesysteme

Genau deshalb ist es gerade jetzt so wichtig, die Grundlogik des herrschenden Wirtschaftssystems zu hinterfragen. Denn eine Ökonomie, die ihre eigenen Grundlagen zerstört, kann auf die Dauer niemandem nutzen. Es ist höchste Zeit, die Bedürfnisse des Lebens aus der Unsichtbarkeit und der scheinbaren Banalität wieder in den Fokus zu rücken und in das Zentrum unseres wirtschaftlichen Handelns.

Am 29.2.2024 ist Equal Care Day. Nicht ohne Grund wurde ein Datum gewählt, das nur alle vier Jahre sichtbar ist. Gefordert wird am „Equal Care Day“ eine gerechte Verteilung der Sorgeverantwortung und mehr Wertschätzung für die professionelle, wie auch für die unentgeltlich geleistete Care-Arbeit. In vielen Städten finden dazu Aktionen, Demos und Veranstaltungen statt. Mehr dazu unter: equalcareday.de

Quellen:

„Das Bild der ‚doppelten Erschöpfung‘ verweist auf die Verwobenheit von Klima- und Care-Krise, denn nicht nur die Natur wird ausgebeutet, sondern auch in der Pflege-, Sorge- und Hausarbeit – weiterhin vor allem Frauensache – kommt es zu Kipppunkten und Zusammenbrüchen.“

Elisabeth Lechner, Katharina Mader und Christa Wichterich, 2023

Rike, Newsletter-Team

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