Solarfabrik in Bürgerhand?

Solarfabrik in Bürgerhand?

erschienen im Newsletter #28 (September 2023)

Aus der etablierten und sich so abgeklärt gebenden, wirtschaftlichen Eltern-Generation kommt ja immer mal wieder der Vorwurf an die Klimabewegten: "Träumer! Lernt erst mal was Ordentliches in der Schule!". Nun ist aus der Riege der älteren Träumer einer aufgestanden und hat eine bewegende Idee vorgestellt: Gerhard Kreutz.

Gerhard KreutzGerhard Kreutz ist der Initiator der Bürger-Solarfabrik und treibt sie seit Mitte 2022 voran. Er leitet inzwischen über 30 Jahre lang die Energie-Initiative Kirchberg e. V. und hat maßgeblich am Filmprojekt "Power to Change" über die Möglichkeiten der Energiewende aus dem Jahr 2016 mitgearbeitet. Sein visionärer Idealismus hat das Initiativ-Team zusammengebracht.

Die Idee ist simpel und sie hat einen sehr großen Vorteil – ihr Name führt schon beim ersten Hören bei Menschen zu genau dem richtigen Kopfkino: Bürger-Solarfabrik. Die Produktion von Solarmodulen in Deutschland, vom Silizium über alle Zwischenschritte hin zum fertigen Modul, und das in einer Fabrik, die in Bürgerhand ist. Klingt das nicht vielversprechend?

Bürger*innen finanzieren und betreiben die Fabrik nach hohen deutschen Umweltstandards, mit regenerativer Energie versorgt, mit fairen  Arbeitsbedingungen und vom Erlös wird gleich auch noch etwas für das Gemeinwohl abgezweigt. Das ist die Idee.

Solarzellen
Foto: Pixabay - Bru-nO

Und das ist noch nicht alles: An einem Standort in einer strukturschwachen Region, vielleicht sogar in ehemaligen Kohle-Bergbau-Gebieten, kann hier ein ganzes Ökosystem um die Fabrik entstehen: Solarstrom vom Fabrikdach lädt die Elektroautos der Mitarbeitenden, die Architektur ist nach den Kriterien der Kreislaufwirtschaft ausgelegt, aus der Fabrikabwärme wird die nahegelegene Gemeinde versorgt und mit jedem Zusatz-Cent auf den Modulpreis werden Gemeinwohl-Projekte finanziert.

Wahnsinn, oder! Das dachte ich auch, als ich im Februar 2023 zum ersten Mal davon gelesen hatte. Als mich im Mai zwei Herren kontaktierten, um meine Open Source Genossenschaftssoftware "organisator" zu begutachten und sich als Vertreter dieses Projekts entpuppten, war ich doppelt geflasht. Man verzeihe den saloppen Ausdruck.

"organisator" heißt eine Open Source Web-Software, mit der Initiativen, Vereine und Genossenschaften ihre "digitale Heimat" schaffen können. Website, Blog, Newsletter und Mitgliederverzeichnis sind ein Teil des Funktionsumfangs. Mehr dazu unter https://munterbund.de/organisator/beschreibung.

Noch mehr beeindruckt war ich, als mir Robert Hoening, der Gründungskoordinator, eine umfangreiche Präsentation mit Businessplan, Marktanalyse, Anforderungen an den Standort, Kontakten zu Landeswirtschaftsministerien und einem gesetzten Besichtigungstermin vor Ort mit diversen Bürgermeistern und Wirtschaftsförderern vorlegte. Die Expertise von namhaften Größen aus der Forschung und Projektierung von Solaranlagen, die das Projekt wohlwollend unterstützen, steckt da erkennbar mit drin.

Seither arbeite ich ehrenamtlich im Initiativ-Team: Website aufsetzen, Kontakte knüpfen, mögliche Standorte sichten, Bündnispartner*innen finden, Strategie anpassen und neue Mitglieder aufnehmen. Ein Parforce-Ritt am Feierabend oder im Urlaub und ich muss gestehen, dass mich die Idee nicht mehr loslässt.

Mitarbeiten? Gerne! Wir brauchen Jurist*innen, Steuerberater*innen, Texter*innen, Illustrator*innen, Filmer*innen und SocialMedia-Expert*innen, die das Konzept schärfen, ausformulieren und für Normalmenschen verständlich aufbereiten. Aber Achtung: zur Zeit muss das alles ehrenamtlich passieren. Wenn wir eine  Anschubfinanzierung zusammen haben, wird sich das ändern (wir haben ein paar erste Einleger und nehmen Spenden gerne entgegen). Bei Interesse einfach eine Mail schreiben an: kontakt[at]buergersolarfabrik.de. Mehr zum Projekt unter buergersolarfabrik.de.

Solardächer
Solardächer in der Nachbarschaft sind ein guter Indikator für Interessent*innen an einer
Bürger-Solarfabrik.

Eigentlich sollte die Genossenschaft für die Bürger-Solarfabrik schon Anfang September gegründet sein. Das hat leider nicht geklappt. Die Prüfung durch die Genossenschaftsverbände scheint schwierig, weil der Business-Plan noch einige weiße Flecken enthält. Zudem kostet so eine Fabrik richtig viel Geld: wir müssen für die volle Ausbaustufe bis zu 1.000.000.000 Euro (richtig, das ist eine Milliarde) einsammeln. Das macht die Begutachtung für die auf Sicherheit und Gläubigerschutz ausgerichteten Geno-Verbände zu einer echten Herausforderung. Zu vage ist unser Projekt bisher, zu risikobehaftet, vielleicht zu ambitioniert.

Nach der ersten Enttäuschung über die Verzögerung kann ich das inzwischen aber nachvollziehen: Wir scheinen eine Spur zu visionär zu sein mit unserer Idee. Nach der Telekom-Aktie (ein Reinfall für viele Bürger*innen), dem Untergang der Solarbranche in den 2010ern (die konservative Regierung hatte das EEG kastriert) und der bitteren Pleite von Sono Motors (zu lange haben die Gründer die Interessent*innen immer wieder vertröstet), ist absolut Vorsicht geboten bei visionären Ideen.

Workshop
Workshop im Künstleratelier in Stuttgart Botnang.

Trotzdem arbeiten inzwischen zwei Handvoll Menschen (noch mehr, als auf der Website sichtbar sind) aus allen Bereichen an der Umsetzung des Projekts. Wünschenswert und wertvoll ist es allemal. Deutschland würde einen Schritt in die Autarkie machen, wir wären nicht mehr abhängig von chinesischen Vorprodukten, wir wären nicht mehr erpressbar durch ein beinahe komplettes Monopol eines diktatorischen Staates. Die große Frage ist nur: lässt sich die Vision auch in einen Businessplan pressen?

Denn nur dann – ganz wichtig – würden wir uns an alle Menschen in Deutschland wenden mit der Bitte: investiert! Investiert und profitiert, seid selbst in der Lage, der Politik auf die Sprünge zu helfen bei der Transformation unserer Gesellschaft in eine enkeltaugliche Nachhaltigkeit!

Über den Autor: Magnus Rembold, 54, Papa, Schwabe, ist Softwareentwickler für Omas for Future, macht UX/UI bei randstad digital, ist ehrenamtlich für Genossenschaften & Innovation tätig, hat 15 Jahre in der Schweiz an der Hochschule gelehrt und ein Demokratie-Projekt mit BMBF Förderung umgesetzt. Außerdem hat er die Klimaliste Baden-Württemberg mitbegründet.