Kalte Nahwärme

Wärmepumpe mit Erdsonde
Abb. 1 Wärmepumpe mit Erdsonde: Insellösung (Quelle: Prof. Thomas Giel)

aus Parents-Newsletter #30 (Dezember 2023)

Im Zusammenhang mit der Wärmeversorgung von Gebäuden (Heizung und Warmwasser) werden mittlerweile häufig kalte Nahwärmenetze in Spiel gebracht. Wie funktionieren sie und wieso sind sie „charmant“?

Das recht neue Konzept der kalten Nahwärme kombiniert die vieldiskutierte Wärmepumpe und die Wärmeversorgung über Fernwärmenetze. Im Prinzip arbeitet ein kaltes Nahwärmenetz wie eine individuelle Wärmepumpe mit einer Erdsonde im Garten (Abb. 1): Bei dieser wird in einem Kreislauf über eine Erdsonde die Sole (Wasser plus Frostschutz) auf ca. 10–15°C erwärmt. Im Haus wird der Sole mithilfe einer Sole-Wasser-Wärmepumpe die enthaltene Wärmeenergie entzogen und auf Heiz- und Brauchwassertemperatur gehoben. Die abgekühlte Sole fließt zurück zur Erdsonde und wird dort wieder auf die ursprüngliche Temperatur gebracht.
 

Prinzip Schaltbild kaltes Nahwärmenetz
Abb. 2: Prinzip Schaltbild kaltes Nahwärmenetz (Quelle: Prof. Thomas Giel)


Auch das kalte Nahwärmenetz (Abb. 2) stellt den Gebäuden eine Sole bereit, der diese mittels hauseigener Sole-Wasser-Wärmepumpen die Wärmeenergie entziehen, die sie benötigen. Die Erdsonden befinden sich bei der kalten Nahwärme jedoch nicht im eigenen Garten, sondern an geeigneter Stelle im Netz. Das kann ein Erdwärmesondenfeld sein, aber auch dezentral verteilte Erdsonden, z.B. entlang der Straßen, sind denkbar. Im kalten Nahwärmenetz gibt es zwei Leitungsstränge, einen für die zugeführte relativ warme Sole und einen für die zurückgeleitete kalte.

Worin liegt der Charme der kalten Nahwärmenetze?

Kalte Nahwärmenetze haben oft Vorteile gegenüber individuellen Wärmepumpen. Letztere erfordern entweder Erdsonden auf dem eigenen Grundstück (bei einer Sole-Wasser-Wärmepumpe) oder einen passenden Standplatz für das Außengerät einer Luft-Wasser-Wärmepumpe, der gut belüftet ist und zu keinen Konflikten mit der Nachbarschaft führt. Insbesondere bei dichterer Bebauung sind diese Voraussetzungen oft nicht gegeben. Andererseits liegen gerade hier die Investitionskosten für ein kaltes Nahwärmenetz unter denen individueller Wärmepumpen.

Gegenüber einem klassischen warmen Netz sind die Vorteile der kalten Nahwärme besonders ausgeprägt:

  • Die Investitionskosten für das eigentliche Netz sind beim kalten Netz sehr viel günstiger, weil Standard-Rohre verwendet werden können, die zudem nicht wärmeisoliert werden müssen. Prof. Thomas Diehl nennt hier den Faktor 10. Wegen der „fehlenden“ Isolierung der Rohre kann die Sole sogar noch Wärme aus dem umgebenden Erdreich aufnehmen.
  • Besonders charmant für die Umstellungsphase: Aufgrund der deutlich geringeren Netzkosten müssen nicht von Anbeginn an alle potentiellen Abnehmer an das kalte Nahwärmenetz angeschlossen sein. Es ist zudem leicht erweiterbar (Abb. 3). Bei weiteren Abnehmern im gleichen Netz oder bei einer Netzerweiterung können problemlos weitere Erdsonden integriert werden.
  • Mit einem kalten Netz kann auch gekühlt werden. Schaltet die Wärmepumpe auf Kühlung, wird die Gebäudewärme in das Netz (in den „warmen“ Leitungsstrang) gespeist und über die Sonden in das Erdreich abgeführt, das sich langsam aufwärmt und so Energie für den nächsten Winter speichert. In jedem Gebäude kann individuell entschieden werden, ob gerade Wärme (Warmwasser) bezogen oder abgeleitet werden soll.
  • Bei der Bereitstellung der Wärme aus dem Erdreich werden keine Treibhausgase emittiert. Bestehende klassische Fernwärmenetze arbeiten hingegen zumeist noch auf Basis fossiler Energien.
  • Das System arbeitet sehr effizient: Erfahrungen zei- gen, dass aus einer Einheit Strom-Energie 3,5 bis 4,5 Einheiten Wärmeenergie werden (Jahresarbeitszahl 3,5 bis 4,5), in einigen Konstellationen sogar bis zu 6,7 Einheiten.
Abb. 3
Abb. 3 (Quelle: Prof. Thomas Giel)

Wer sich näher mit dem Thema „kalte Nahwärmenetze“ beschäftigen möchte, sei auf einen Vortrag von Thomas Giel, Professor für nachhaltige Gebäudeenergiesysteme an der Hochschule Mainz, verwiesen, den es in einer vollständigen (2 Std.) und einer gekürzten (30 Min.) Video-Aufzeichnung gibt. In dem Vortrag wird auch ausführlich von Praxiserfahrungen berichtet. Weitere Infos zu geothermischen Quartierskonzepten liefern die Vorträge von Michael Viernickel und Ulrich Döbler: Teil 1 (30 Min.) und Teil 2 (55 Min.).

Warum nicht bei Öl und Gas bleiben?

Abgesehen von der unstrittigen klimaschädlichen Wirkung fossiler Heizsysteme bergen sie auch große finanzielle Risiken, von denen vor allem finanziell schwächere Gruppen betroffen sein werden. Schon jetzt sind die reinen Betriebskosten für eine Öl- oder Gasheizung höher als für eine Wärmepumpe oder ein kaltes Nahwärmenetz. Es ist absehbar, dass sie in den nächsten Jahren weiter steigen. Ursache für die deutlich steigenden Öl- und Gaspreise ist die steigende CO2-Abgabe, die als Steuerungsinstrument für die notwendige Treibhausgasreduzierung dient.

Die Jahreskosten nur für die CO2-Abgabe betragen bei dem aktuellen CO2-Preis von 30 Euro je Tonne für ein Beispiel-Einfamilienhaus mit einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh Erdgas 148 Euro (Tab. 1). Bis 2025 steigen sie auf mindestens 270 Euro. Ab 2027 wird der CO2-Aus- stoß von Gebäuden in den europäischen Emissionshandel („EU ETS 2“) einbezogen. Der Preis für CO2-Zertifikate wird dann an der Börse ermittelt. Kürzlich lag er bei 86 Euro/Tonne, was in unserem Beispiel zu CO2-Kosten von jährlich 425 Euro führen würde.

Es wird damit gerechnet, dass der Marktpreis weiter steigen wird. Richtig teuer würde es mit CO2-Preisen von 200 bis 300 Euro. Diese halten Experten wie Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, mittelfristig für erforderlich, um die europäischen Klimaziele im Verkehrs- und Gebäudebereich zu erreichen. Das würde im Beispiel zu CO2-Kosten von rund 1000 bzw. 1500 Euro führen.

Jahreskosten CO2-Abgabe für ein Einfamilienhaus mit einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh Erdgas:

CO2-Abgabe 2023 (30 €/t):

148€

Anstieg bis 2026 (55-65 €/t):

270-320 €

CO2-Zertifikat zu 86 €/t:

425 €

CO2-Zertifikat zu 200 €/t:

988 €

CO2-Zertifikat zu 300 €/t:

1.482 €

Tab. 1

Wolfgang Schöllhammer, OG Mainz