SAUBERES GAS? EINE DRECKIGE LÜGE!

Eine kritische Einordnung des Ausbaus von LNG-Terminals

Sauberes Gas? Eine dreckige Lüge!

erschienen im Parents-Newsletter #35 (Juli 2024)

Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurde allen klar, wovor die Klimabewegung schon lange gewarnt hatte: Es war ein dramatischer Fehler, die Gasinfrastruktur auszubauen und sich damit von Russland abhängig zu machen. Daraufhin wurde zur Diversifizierung und Sicherung der Energieimporte der Bau von insgesamt sechs schwimmenden und drei landseitigen Flüssigerdgas(LNG)-Terminals in Wilhelmshaven, Stade, Brunsbüttel und auf Rügen beschlossen – mit dramatischen Folgen.

LNG: Erdgas wird für den Transport mit Schiffen zu Flüssigerdgas (LNG, Liquefied Natural Gas) umgewandelt, um größere Mengen kostengünstig transportieren zu können. Es wird mit hohem Energieaufwand an LNG-Exportterminals durch Runterkühlen auf -162°C verflüssigt, sein Volumen dadurch um den Faktor 600 verkleinert. Nach dem Transport wird das LNG an schwimmenden FSRU (Floating Storage and Regasification Unit) oder stationären LNG-Terminals durch Erhitzen wieder in den gasförmigen Zustand versetzt und ins Gasnetz eingespeist.

Begründet wird der Bau von LNG-Terminals mit einer drohenden Gasmangellage mit der Folge, dass die Menschen im Winter nicht mehr heizen könnten und die Wirtschaft zugrunde gehen würde. Demgegenüber stellen das New Climate Institute und das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) dar, dass bis 2030 in Deutschland 50 Mrd. und laut IEEFA (Institute for Energy Economics and Financial Analysis) europaweit sogar bis zu 270 Mrd. Kubikmeter an LNG-Überkapazitäten entstehen könnten. Zur Sicherung der Versorgung würden ca. zwei bis drei schwimmende LNG-Terminals (FSRUs) ausreichen (siehe Abb. 1). Eine teilweise Versorgung der osteuropäischen Nachbarländer, womit häufig der massive Ausbau der LNG-Infrastruktur begründet wird, war lt. der erwähnten DIW-Studie für den Winter 2023/2024 sichergestellt. Wir sind der Auffassung, dass das auch langfristig möglich ist. Unabhängig von der Versorgungslage muss jedoch der Gaskonsum massiv gesenkt werden, um die Klimaziele einhalten zu können. 

Klimaschutzkonformes Verbrauchszenario (rote Linie) und geplante Gasinfrastruktur-Kapazitäten  für Deutschland Quelle:
Abb. 1: Klimaschutzkonformes Verbrauchszenario (rote Linie) und geplante Gasinfrastruktur-Kapazitäten für Deutschland - Quelle: New Climate Institut 2023

 

Durch die LNG-Überkapazitäten entstehen massive Stranded Assets und Lock-in-Effekte (siehe Kasten). Zudem wird der Ausbau der LNG-Infrastruktur vom Bund mit etwa 10 Mrd. Euro Steuergeldern subventioniert, obwohl die Gasunternehmen nach Beginn des russischen Angriffskrieges massive Übergewinne erzielt haben. Dieses Geld fehlt dann für den Ausbau der Infrastruktur für erneuerbare Energien.

STRANDED ASSETS: Unter Stranded Assets („gestrandete Vermögenswerte“) versteht man Vermögenswerte, deren Ertragskraft oder Marktwert unerwartet drastisch sinkt, bis hin zur vollständigen Wertlosigkeit. Bei fossilen Technologien kann der Wertverlust z. B. verursacht sein durch Umweltprobleme, neue Gesetze oder fallende Preise für grüne Technologien.

LOCK-IN-EFFEKTE: (von engl. lock-in = einschließen) Situation, in der eine Änderung der aktuellen Lage durch hohe Wechselkosten unwirtschaftlich wird, selbst wenn es viele andere Vorzüge brächte. Ein Ausbau fossiler Infrastruktur kann zu Lock-in-Effekten führen: Aufgrund der langen Lebensdauer der Anlagen besteht die Gefahr, dass sie aus betriebswirtschaftlichen Gründen weiterbetrieben werden, obwohl deren Betrieb aus Klimaschutzperspektive kontraproduktiv ist.

LNG: klimaschädlicher als Kohle 

Um den Ausbau der Gas-Infrastruktur zu rechtfertigen, wird LNG von Gasunternehmen oft als umweltfreundliche Brückentechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität bezeichnet. Jedoch wird die Klimabilanz von Erdgas falsch berechnet: Zwar wird bei der Verbrennung von Erdgas weniger CO2 emittiert als bei Kohle, die Klimaeffekte in der Lieferkette werden jedoch meistens ignoriert. Laut einer von Claudia Kemfert geleiteten Studie werden die Methan-Emissionen z.B. durch Leckagen in der Lieferkette – Methan ist bezogen auf einen 20-Jahre-Zeitraum 84 mal klimaschädlicher als CO2 – zu 50 bis 60 Prozent unterschätzt. Der Methan-Forscher Robert Howarth stellte jüngst fest, dass LNG je nach Transportweg und Schiffstyp zwischen 24 und maximal 274 Prozent klimaschädlicher ist als Kohle (siehe Abb. 2): durch Leckagen, Energieverluste durch das Verflüssigen und Regasifizieren des Erdgases und durch den Transport per Schiff (oft mit Schweröl betrieben). Im LNG-Exportland USA wird zur Gasförderung hauptsächlich die umstrittene und in Deutschland verbotene Fracking-Methode angewendet, die mit besonders hohen Methan-Emissionen verbunden ist.

Abb. 2: Klimabilanz von LNG im Vergleich zu anderen Energieträgern  innerhalb eines 20-Jahre-Zeitraums
Abb. 2: Klimabilanz von LNG im Vergleich zu anderen Energieträgern innerhalb eines 20-Jahre-Zeitraums - Quelle: Howarth 2024

Ausbeutung in LNG-Lieferkette

Bei der Erdgasförderung durch Fracking mit Chemikalien wird die Umwelt stark belastet. Besonders People of Color leiden dadurch unter gesundheitlichen Problemen. Selbst in heiligen indigenen Gebieten und in Siedlungen wird Gas Fracking betrieben. Doch auch bei den Petrochemie-Anlagen und LNG-Terminals kommt es zu Menschenrechtsverletzungen und sogenanntem Umweltrassismus. Denn diese werden oft in der Nähe von einkommensschwachen Siedlungen mit schwarzer, Latino- etc. Bevölkerung gebaut, die dann überproportional unter der Luftverschmutzung und den gesundheitlichen Problemen leiden. 

Besonders stark zu erkennen ist dies an der Golfküste in Texas und Louisiana, in der sogenannten „Cancer Alley“ („Krebsgasse“). Hier gibt es eine deutlich höhere Anzahl von Erkrankungen wie Asthma, Bronchitis, Unfruchtbarkeit, Frühgeburten und eine siebenmal höhere Krebsrate als im Rest der USA. Ein Zusammenhang mit der Petrochemie, insbesondere den LNG-Terminals, wird angenommen. Fast täglich kommt es hier durch Störfälle zu Verbrennen von Erdgas (Flaring) mit Emissionen von Feinstaub, Stickoxiden, Kohlenmonoxid, Formaldehyd (krebserregend), Schwefeldioxid, Schwefelwasserstoff, Methan, Distickstoffmonoxid, CO2, Helium und Benzol.

Flaring beim Venture Global Calcasieu Pass Export Terminal - Foto: John Allaire
Flaring beim Venture Global Calcasieu Pass Export Terminal - Foto: John Allaire

Außerdem werden wertvolle Sumpfgebiete, die die Anwohnenden auch vor Naturkatastrophen schützen, zerstört, und Fischer verlieren ihre Lebensgrundlagen, da die Natur zerstört wird und der Schiffslärm die Fische vertreibt.

Belastung in Deutschland

Auch in Deutschland leiden die Anwohnenden unter den LNG-Terminals. Das LNG-Beschleunigungsgesetz hat zahlreiche Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung sowie den Umweltschutz massiv eingeschränkt. In Brunsbüttel gibt es nun in nur 600m Entfernung von Siedlungen schwimmende LNG-Terminals, verbunden mit starker Lärmbelästigung und Lichtbelastung. In Wilhelmshaven werden pro Jahr 180 Millionen Liter Chlorwasser ins Wasser geleitet, unmittelbar vor dem UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer, und bei Rügen wird eine Gaspipeline durch Riffe und wertvolle Laichgebiete gebaut. Dabei lebt Rügen von der wertvollen Natur und dem Tourismus, der durch Lärm gefährdet wird. In Stade ist es bereits vor dem Betrieb zu einer Leckage an einer Pipeline gekommen, wodurch 60.000 Kubikmeter Erdgas verbrannt werden mussten und die Anwohnenden über fünf Stunden lang belastet wurden. 

Spielplatz direkt neben dem LNG-Terminal Free Port in Texas - Foto: Andy Gheorgiu
Spielplatz direkt neben dem LNG-Terminal Free Port in Texas - Foto: Andy Gheorgiu

Fazit: Die einzige und beste Lösung zur Energieunabhängigkeit ist der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn ein fossiler Brennstoff kann nie eine umweltfreundliche und saubere Brückentechnologie sein; besonders nicht, wenn es in der Lieferkette zu massiven, klimaschädlichen Leckagen, zu Ausbeutung, Umweltrassismus und Menschenrechtsverletzungen kommt.

Martin Lüdders, 
FFF Bochum, Klimabündnis gegen LNG