Offener Brief an Bundeskanzler Scholz
14.06.2024
der Geburtstag von Olaf Scholz
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
wir sind Menschen aus der Elterngeneration mit und ohne Kinder oder Enkelkinder, die sich aktiv für eine lebenswerte Zukunft aller kommenden Generationen einsetzen.
Zunächst möchten wir Ihnen unsere allerherzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag aussprechen. Wir hoffen, Sie haben an Ihrem Ehrentag wenigstens kurz Gelegenheit zum Innehalten und Feiern. Für die schwierigen Aufgaben, die vor Ihnen liegen, wünschen wir Ihnen viel Kraft und vor allem Mut. Die Herausforderungen dieser Zeit sind gewaltig und erlauben leider kaum eine Atempause.
Wir möchten uns mit einem zentralen Anliegen an Sie wenden, das uns alle sehr beschäftigt: Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch den menschengemachten Klimawandel extrem gefährdet. Der derzeitige CO2-Gehalt in der Luft ist schon jetzt viel zu hoch (0,42‰). Der 1,5 Grad-Pfad des Weltklimarats zeigt den Weg, mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat. Um ihn realisieren zu können, muss der CO2-Gehalt der Luft bis 2150 erheblich verringert werden (auf 0,35 ‰). Wir haben also jetzt schon hunderte Gigatonnen CO2 zu viel in der Luft. Wenn wir unsere Zivilisation erhalten wollen, müssen wir deshalb jetzt - wenn auch mit Jahren Verspätung - radikal umsteuern. Zu diesen Themen stehen wir auch im engen Austausch mit den Scientists For Future.
Ihre Aussage in der Regierungserklärung vom 06. Juni "Der menschengemachte Klimawandel ist die größte globale Herausforderung, vor der wir stehen" gibt uns nun Hoffnung auf weitere einordnende Erklärungen und offene Worte aus dem Bundeskanzleramt.
Wir sehen sehr wohl, dass nicht nur die CDU/CSU-Opposition, sondern sogar Ihr Koalitionspartner FDP Ihre als Klima-Koalition gedachte Regierung ständig attackiert. Ihren wissenschaftlich begründeten Appell an die Opposition, Klimapolitik gemeinsam voranzubringen, hat diese aus Machtkalkül abgelehnt - eine unseres Erachtens gegenüber künftigen Generationen inakzeptable Verantwortungslosigkeit. Gleichwohl - oder gerade deswegen - halten wir es für dringend geboten, dass Sie als unser Bundeskanzler deutliche Worte finden und die Bevölkerung unseres Landes über die Erkenntnisse der Klimawissenschaft klar informieren - auch darüber, welches Risiko wir eingehen, wenn wir die wissenschaftlichen Warnungen weiter ignorieren.
Natürlich wünschen auch wir uns, genau wie Sie, Wohlstand für breite Gesellschaftsschichten. Zahlreiche nachhaltige Technologien für wirksamen Klimaschutz stehen bereits zur Verfügung. Die Lösungen (z.B. Wind, Solar) liegen auf dem Tisch und müssen nur umgesetzt werden. Zusätzliche technische Lösungen (wie z.B. Entnahme von CO2 aus der Luft) sind noch zu wenig erforscht, werden perspektivisch, aber auch notwendig werden. Unzureichender und/oder zu zögerlicher Klimaschutz vernichtet schon jetzt Wohlstand. Gut, dass Sie dies - anders als z.B. Markus Söder - anlässlich der gegenwärtigen Hochwasserkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg schon angedeutet haben. Nur erfordert die menschengemachte Klimakatastrophe mit ihren dramatisch zunehmenden Extremwetterlagen deutlich klarere Äußerungen von den politisch Verantwortlichen, um die Gefahr in der wir uns befinden zu verdeutlichen. Dazu ist nicht nur auf die zu verweisen, sondern auch auf die Warnungen des Weltklimarats (März 2023) und der Europäischen Umweltagentur (März 2024).
Schon jetzt verursachen Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen, Waldbrände, Gletschersterben und Grundwassermangel immense Schäden und sogar Ernteausfälle, auf die weder FDP noch CDU/CSU hinweisen. Wenn wir jetzt nicht handeln, wird in den kommenden Jahren der Lebensraum von etwa 2,5-3 Mrd. Menschen zerstört. Flucht und Hungersnöte werden viele Menschenleben kosten.
Der Bevölkerung ist immer noch nicht ausreichend klar, dass ein Umdenken und gewisser Verzicht in einigen Bereichen zwingend notwendig ist, um überhaupt nennenswerten Wohlstand und unsere Lebensqualität zu sichern. Ein Festhalten am bisher Erreichten wird Wohlstand und Wohlergehen bei uns und erst recht in weniger entwickelten Regionen zerstören. Das liegt - wie Sie und wir wissen - schlicht an den Naturgesetzen und den planetaren Grenzen.
Im demokratischen Diskurs ist auch darauf einzugehen, dass unzureichender und/oder zu zögerlicher Klimaschutz mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten nicht vereinbar ist (vgl. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte).
Wir werten es als schicksalhaft, dass ausreichender Klimaschutz in Anbetracht eines ausgeprägten Populismus bei der Opposition und auch der FDP keine politischen Mehrheiten besitzt. Unsere Bevölkerung weiß sicher eine klare Orientierung in der Klimaschutzpolitik zu schätzen. Denn Klimaschutz ist Menschenschutz und trägt auch zu einer besseren Lebensqualität bei. Mit einem sozial abgestuften Klimageld wird sicher auch die Akzeptanz klimapolitischer Maßnahmen gefördert.
Daher bestärken wir Sie darin, durch sehr offene und klare Kommunikation dafür zu werben, mit einer technisch machbaren und bezahlbaren Therapie das Ende des fossilen Zeitalters engagiert voranzutreiben und zu realisieren. Zugegeben, ein sehr schwieriges Unterfangen, aber schließlich entscheiden sich die meisten Menschen im Falle einer Krebsdiagnose auch eher für eine belastende Chemotherapie als dagegen.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, bitte nutzen Sie Ihre Möglichkeiten und kommunizieren Sie die Tatsachen für alle verständlich! Die Bevölkerung braucht eine ungeschönte Klima-Diagnose! Setzen Sie sich mit aller Kraft für rechtzeitigen ausreichenden Klimaschutz ein! Dabei wird die Betonung der bereits vorhandenen Möglichkeiten den Menschen Mut machen, eine sozial abgefederte Klimastrategie mitzutragen. Hier können Sie sich unserer uneingeschränkten Unterstützung gewiss sein.
Über eine weitergehende Möglichkeit zum konstruktiven Bürgerdialog würden wir uns sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Parents for Future Germany
Weitere Informationen
Unsere Pressemitteilung zu dem Brief: Diskrepanz zwischen Politik und Wissenschaft
Schreiben an Mitglieder der SPD-Fraktion des Bundestags