Nachhaltigkeit kann ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger nicht vorangetrieben werden. So formierte sich die Vereinigung „Coesfeld for future“, die verschiedene Themen des Klimaschutzes in den Fokus rücken will. Einen Einblick in die Initiative gewährte Susanne Keull dem Redaktionsmitglied Alexander Bitting im folgenden Interview. Sie ist Mitbegründerin sowie Initiatorin des Wissensblogs „Wissen macht Klima“.
Wie ist die Vereinigung „Coesfeld for Future“ entstanden?
Wir haben uns im Herbst 2019 gegründet aus einer einfachen WhatsApp Gruppe heraus, die Eliza Diekmann gegründet hatte. Das Gründungstreffen fand damals im Cafe Central in Coesfeld statt. Das war eine ganz besondere Atmosphäre, weil sich kaum jemand kannte. Es war spannend zu erleben, wer da so kommen würde und wie die Einstellungen und Wünsche der Einzelnen sein würde. Beim Gründungstreffen mussten wir auch direkt entscheiden, ob wir eine Demo für den globalen Streik auf die Beine stellen wollen. Innerhalb der ersten sechs Wochen nach unserer Gründung haben wir uns einzig und allein darauf konzentriert. Da war auch noch nicht viel Inhaltliches oder wo wir hinwollen. Es hat die Gruppe aber sehr miteinander verbunden und war der beste Kickstart, den wir uns vorstellen konnten.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt und nach welchen Werten handeln Sie?
Unser Ziel ist eine konsequente Klima- und Umweltschutzpolitik in Coesfeld und im Kreis Coesfeld. Es muss deutlich werden, dass Entscheidungen nicht nur einer ökonomischen Gewichtung bekommen, sondern auch gleichberechtigt eine ökologisch soziale Gewichtung.
Gleichzeitig wollen wir aber nicht nur mahnen und für das Klima auf die Straße gehen, sondern auch Verantwortung für unser Handeln übernehmen und Dinge anstoßen. Wir haben verstanden, dass wir selbst Teil der Natur und Teil des Kreislaufs sind. Wir sind sogar stark von ihr abhängig, was vielen Menschen nicht so bewusst ist. Die Erde kann sehr gut ohne uns leben, wenn sie nicht sogar besser ohne uns dran wäre – wir können aber nicht ohne diese Planeten überleben. Dieses Grundverständnis eint uns in unserer gemeinsamen Arbeit.
Wie ist die Idee der Coesfelder Klimachallenge entstanden und welche Themen wurden dort aufgegriffen?
Die Idee der Klimachallenge kam mir kurz nach einem Gespräch mit einer Medienvertreterin. Mich trieb damals die Frage um, wie man die Dringlichkeit dieses globalen und durchaus sehr weitumfassenden Themas auf Coesfeld runterbrechen kann. Das Thema ist für viele Menschen einfach noch sehr abstrakt. Bei Corona sieht man die Dringlichkeit einer Handlung und man sieht die direkten Auswirkungen dieses schrecklichen Virus. Bei dem Klimawandel ist die Auswirkung nicht für alle Menschen sichtbar, obwohl es auch hierbei um eine Art des exponentiellen Wachstums geht. Und die klimatischen Veränderungen sind in der Tat bereits sichtbar, wenn man sich ihnen nicht bewusst verschließt!
Wenn ein Kippelement im Klimasystem kippt, dann wird ein Dominoeffekt erzeugt, den wir, ähnlich wie bei Corona, nicht aufhalten können. In der Klimachallenge geht es deswegen darum, sich jeden Monat ein Bereich vorzunehmen, der eine Auswirkung hat. Zu reflektieren, wie man selber in diesem Bereich unterwegs ist und Tipps an die Hand zu bekommen, seinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. In der Klimachallenge haben wir also die Big Points wie Ökostrom oder Heizung, aber auch die oftmals nicht gesehenen Punkte wie die Digitalisierung oder die Gartengestaltung zur Förderung der Biodiversität. Begleitet wird die Klimachallenge in unserem Wissenblog www.wissenmachtklima.de, um noch einmal mehr Hintergrundinformationen zu bekommen. Im Übrigen kann jeder und jede die Klimachallenge auch im Jahre 2022 nutzen, um seinen eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Das wäre ein toller Neujahrsvorsatz.
Wie weit sind nach ihrem Eindruck die Coesfelderinnen und Coesfelder, was ihr Bewusstsein für Nachhaltigkeit angeht?
Ich würde sagen: Das kommt drauf an. Was ich sehe, ist das der Handel in Coesfeld gerade viele kleine Schritte geht und es einige Händler und Händlerinnen gibt, die diese Ideen zum nachhaltigen Leben aufgreifen und in eine Geschäftsidee umwandeln. Und das offensichtlich diese Möglichkeit dankend von den Coesfeldern angenommen wird. Und das ist schön!
Wobei man sich hier auch nicht täuschen lassen sollte. Viele Unternehmen bewerben aktuell die Klimaneutralität. Es wird ja quasi der Eindruck erweckt, als sei das so einfach und nur ein Klick entfernt. Auf einmal ist alles klimaneutral produziert: Der Kaffeebecher, das Fotobuch – ja sogar das Mineralwasser. Dabei wird in der Kommunikation außer Acht gelassen, WIE diese Klimaneutralität zustanden gekommen ist. Das sehen wir als Umweltbewegung kritisch. Das Wort Nachhaltigkeit wird sehr verwässert und für Zusammenhänge genutzt, die genau genommen nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Im letzten Jahr haben wir das im Übrigen auch in ihrem Nachhaltigkeitmagazin erlebt. Wie kann es sein, dass ein fleischproduzierendes Unternehmen, wo offensichtlich Mängel herrschen und was wenig zum Thema Nachhaltigkeit beiträgt, sich hier als „nachhaltig“ präsentiert?
Gleichzeitig sehe ich, wie schwer es auch den Coesfelder und Coesfelderinnen in manchen Bereichen fällt, die notwendige Gewichtung vorzunehmen. Wir nennen das auf unserem Wissensblog den „inneren Schweinehund“. Der Fahrradschlüssel scheint oftmals schwerer zu wiegen als der Autoschlüssel, weshalb dieser dann genommen wird. Da bedarf es wohl noch einiger Überzeugungsleistung und auch Aufweisung von wunderbaren Alternativen unsererseits.
Viele Menschen verbinden einen nachhaltigen Lebensstil mit Verzicht und Zurückhaltung. Was entgegnen Sie diesem Argument?
Das sehe ich überhaupt nicht so! Zum einen muss man hier noch einmal ganz klar sagen: Wenn wir dieses Problem nicht innerhalb der nächsten 10 Jahre in den Griff bekommen, dann reden wir von ganz anderen Dingen, als eine freundliche Zurückhaltung oder eine freiwillige Reduzierung von Konsumgütern. Je langsamer wir aktuell in unserem Handeln sind, desto mehr werden wir uns einschränken müssen! Ich möchte gar nicht wissen, auf was meine Kinder alles verzichten müssen, nur weil wir deren Ressourcen einfach verschwenderisch aufgebraucht haben, weil wir „keine Lust“ auf eine Einschränkung haben.
Und man muss hierbei natürlich auch die Zeit bedenken, die wir für diese ökologische Transformation politisch und gesellschaftlich benötigen. Der Windpark im Letter Bruch, den die Stadtwerke Anfang diesen Jahres glücklicherweise in Betrieb nehmen konnten, hatte ein Planungs-und Bauzeit von 9 Jahren. Wir müssen also JETZT Entscheidungen treffen und den Weg vorbereiten.
Zum anderen kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Es ist alles andere als ein Verzicht, wenn man sich weniger mit Konsum und dafür mehr mit Menschen beschäftigt. Und auch beim Thema Mobilität merke ich innerhalb meiner Familie, dass es wunderbar ist, dass wir zu 80% das Auto gegen das Lastenrad eingetauscht haben. Es gibt uns so viel mehr Lebensqualität und zeigt gerade den Kindern die Schönheit der Umwelt und die enorme Flexibilität innerhalb Coesfelds. Auch machen wir uns keine Gedanken über Parkplatzsuche, was unser Stresslevel senkt oder irgendwelche Gebühren. Es ist also auch sehr kostenreduzierend.
Was sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Punkte, um ein möglichst nachhaltiges Weihnachtsfest und auch einen umweltfreundlichen Silvesterabend zu verbringen?
Mit Lebensmittelresten, Plastik, abgeholzten Bäumen und Bergen voller Geschenkpapier wird die Weihnachtszeit zu einer jährlichen Abfallorgie und gleichzeitig erschwert gerade diese Zeit unseren ökologischen Fußabdruck. Daneben bedeutet das Fest der Liebe für einige auch mehr Stress als Besinnlichkeit. Beides kann im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit miteinander verbunden werden und somit das Stresslevel senken und unseren ökologischen Fußabdruck.
Meine persönlichen Top 3 sind die Themen Geschenke, Weihnachtsbeleuchtung und der Weihnachtsbaum.
Beim Thema Geschenke bin ich mittlerweile ein großer Verfechter der „Zeit statt Zeug“ Möglichkeit. Ich würde einem gemeinsamen Essen oder einen gemeinsamen netten Abend eigentlich immer einem materiellen Geschenk vorziehen. Damit können wir auf jeden Fall unter den Erwachsenen schon einen erheblichen Anteil mindern. Bei Kindern sehe ich die bessere Möglichkeit in gebrauchten Artikeln und auch hier wesentlich reduzierter Anzahl. Man kann innerhalb der Familie das ja auch bündeln und mehrere beschenken ein Kind mit nur einer gemeinsamen Sache. Aber auch selber basteln und Upcycling ist voll im Trend.
Die Weihnachtsbeleuchtung ist gerade aus dem Aspekt der Lichtverschmutzung zur Weihnachtszeit ein guter Hebel. Hier heißt es: Weniger ist mehr und wenn dann bitte mit LED-Lampen und in einem natürlichen Gelbton und nicht so grell. Was die wenigstens wissen: Tausende Insekten sterben aufgrund von Lichtverschmutzung.
Das Thema Weihnachtsbaum ist auch in meiner Familie aktuell noch der größte „Knackpunkt“. Der geliebte echte Baum ist nach wie vor unser Favorit, auch weil unsere Kinder noch sehr klein sind. Der beliebteste Christbaum der Deutschen ist die Nordmanntanne. Sie wächst ursprünglich gar nicht bei uns. Überhaupt haben etwa drei Millionen der fast 30 Millionen verkauften Weihnachtsbäume in Deutschland weite Transportwege hinter sich. Hier haben wir jetzt im Dezember die wunderbare Möglichkeit bekommen, unsere Alternativen zur klassischen Nordmanntanne bei coesfeld.unverpackt ausstellen zu dürfen. Meine Familie und ich haben uns für die Variante entschieden, dass wir bei einem Nachbarn im Wald einen schlagen dürfen, der noch klein ist und sowieso aufgrund von Platzmangel irgendwann geschlagen werden müsste. Das fühlt sich aktuell nach einem akzeptablen Kompromiss an.
Und bei Silvester gilt ganz klar: Nicht böllern! Dieses Jahr ist es ja aufgrund der Pandemie sowieso im privaten Raum unterbunden worden. Dies sollte zum Standard werden. Silvester werden jährlich rund 5.000 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt. Die Feinstaubbelastung am ersten Tag entspricht 16 % der jährlich im Straßenverkehr entstehenden Menge. Damit zählt es zu den höchsten Feinstaubemissionen im ganzen Jahr.
Was wünschen Sie sich von der Politik – lokal wie bundesweit – in Sachen Nachhaltigkeit?
Im lokalen Bereich gilt es, wie bereits erwähnt, dass jede Entscheidung der Stadtverwaltung und des Rates gleichberechtigt eine ökologisch soziale Gewichtung neben der ökonomischen bekommt. Die Stadt Coesfeld hat seit dem Ratsbeschluss vom 08.11.2018 ein Klimaanpassungskonzept. Aktuell muss man allerdings sagen, dass dieses Konzept noch nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es gedruckt wird. Kaum eine Maßnahme befindet sich in der Entwicklungsstufe, in der es sein sollte. Viele Zahlen wirken gewürfelt und nicht wissenschaftlich belegt. Die Stadtverwaltung kann aktuell auch nicht beziffern, wie eigentlich der eigene ökologische Fußabdruck aussieht. Hier muss mehr auf das Gaspedal getreten werden, beachten wir die Planungs-und Umsetzungszeit, von der ich bereits gesprochen habe. Das neue Mobilitätskonzept kann sich sicherlich zu einem richtigen Wendepunkt entfalten, allerdings plant die Stadtverwaltung zeitgleich ein Parkhaus, was absolut widersprüchlich ist! Es ist klar, dass wir über nachhaltig gestaltete Wohngebiete mit regenerativer Energienutzung viel intensiver nachdenken müssen. Es müssen mehr Möglichkeiten geschaffen werden, die fest in Bebauungsplänen und Entscheidungen integriert werden. In Summe muss die Politik in Coesfeld also mutiger werden! Hier ist noch jede Menge „innerer Schweinehund“ bei den Ratsmitglieder und Mitgliederinnen vorhanden.
Für die Bundesebene schließen wir uns ganz klar den Forderungen von Fridays for Future an:
- Die Erderwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen, um dem neuesten IPCC Bericht zu entsprechen
- Die Kriterien der Klimagerechtigkeit, wie sie im Pariser Abkommen vereinbart worden sind, zu wahren
- Deutlich mutigere und sofortige Maßnahmen für den Klimaschutz in allen Teilbereichen und eine umfassende Klimaschutzstrategie
- Ein Stopp der Kohleverstromung und ihrer Subvention sowie eine CO2-Abgabe
- Ein neues Klimaschutzgesetz für die sofortige Umsetzung aller Maßnahmen und Strategien in allen Teilbereichen.
Wie kann man bei Ihnen mitwirken und gibt es auch andere Bewegungen im direkten Umkreis?
Wir sind offen für alle. Wir treffen uns alle 14 Tagen, aktuell ausschließlich virtuell. Wenn jemand Interesse hat, also einfach gerne eine Mail an Coesfeld(at)parentsforfuture.de schicken. Wir sind aber auch total gut vernetzt mit den anderen For Future Gruppen aus Dülmen, Rosendahl, Nottuln oder Senden. Die suchen auch immer Mitstreiker und Mitstreiterinnen.