Offener Brief zur Genehmigung des Chemnitzer Doppelhaushaltes 2021/22
Update ,1.6.2021:
Unser Widerspruch bei der Landesdirektion gegen den Chemnitzer Doppelhaushalt wurde aus regulatorischen Gründen abgelehnt:
- Man sei lediglich für Prüfung finanzieller Nachhaltigkeit zuständig, nicht für Nachhaltigkeit hinsichtlich der Lebensgrundlagen, so die Landesdirektion.
Das Ablehnungsschreiben der LDS befindet sich als Anhang unten an diesem Blogartikel.
Chemnitz, 9.5.2021
In diesem Offenen Brief fordern wir die Landesdirektion Chemnitz auf, den am 31.3.2021 im Chemnitzer Stadtrat beschlossenen Doppelhaushalt 2021/22 vorerst nicht zu genehmigen, und Nacharbeit von der Stadt zu verlangen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat am 24.3.2021 geurteilt, dass der Klimaschutz in Deutschland unzureichend ist, und die Bundesrepublik zu Lasten künftiger Generationen wirtschaftet1. Auch der Chemnitzer Haushalt ist ein Weiterso, als gäbe es die Klimakrise nicht. Wir haben ihn analysiert3, sofort umsetzbare Maßnahmen aufgezeigt2. Viele Chemnitzer:innen haben fristgerecht Einspruch erhoben4.
Die PDF Version des Briefes, den wir an die Landesdirektion versandt haben, befindet sich im Anhang dieses Artikels.
Sehr geehrte Fr. Kraushaar, sehr geehrter Hr. Felber,
Ihnen liegt der Chemnitzer Doppelhaushalt 2021/2022 zur Genehmigung vor.
Wir möchten Sie bitten, den Haushalt von der Stadt überarbeiten zu lassen, damit nicht schon wieder wertvolle Jahre beim Klimaschutz ungenutzt verstreichen.
Die Gründe, und ebenso geeignete, von der Stadt Chemnitz in der Haushaltsperiode 2021/22 umsetzbare Maßnahmen sind wie folgt:
Gründe
- Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass die gegenwärtige Klimaschutzpolitk des Bundes gegen das Grundgesetz verstößt, weil es den kommenden Generationen höhere Lasten aufbürdet als den gegenwärtigen1. Diese Diagnose gilt natürlich auch für nachgeordnete Landes- und Kommunalpolitiken.
- Auch die Stadt Chemnitz wirtschaftet zu Lasten künftiger Generationen und verstößt damit gegen das Grundgesetz: Der 6. Chemnitzer Klimaschutzbericht sagt, "die Maßnahmen reichen nicht5 aus". Das CO2-Reduktionsziel des integrierten Stadtentwicklungskonzepts der Stadt von 2009 (SEKo) liegt bei 2% pro Jahr6. Wenn Chemnitz so weitermacht ist das CO2 Restbudget der Stadt für ihren Beitrag, das Pariser 1,5 Grad Ziel zu erreichen, Mitte 2026 aufgebraucht7.
- Nötig wäre eine jährliche CO2-Reduktion von bis zu 8%, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen - was zu einer CO2-Neutralität der Stadt bzw. zum Aufgebrauchtsein unseres verbleibenden CO2-Restbudgets im Jahr 2035 führte7,8.
- Sie als Landesdirektion sind verpflichtet, Haushalte nach §72 (1) der Sächs. Gemeindeordnung zu prüfen: "Die Gemeinde hat ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass eine stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Dabei ist den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts grundsätzlich Rechnung zu tragen." Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht9 ist nach dem BVerfG Urteil1 verletzt, wurde durch das Urteil doch dem nachhaltigen Wirtschaften9 eine höhere Bedeutung beigemessen, die um so höher ist, je mehr Zeit ohne geeignete CO2-Reduktion ungenutzt verstreicht.
Maßnahmen
- Die Stadt muss im Doppelhaushalt 2021/22 jährlich 8% CO2-Reduktion abbilden, und nicht 2% wie bislang geschehen 6.
- Ein wichtiger Beitrag dafür ist ein vorgezogener Ausstieg der eins Energie aus der Braunkohleverfeuerung: Der Versorger kann den letzten Kohlemeiler schon 2024 stilllegen, was jedoch einiger Klärungen und Unterstützungen bedarf10. Bisher ist die Abschaltung 2029 geplant. Die Stadt Chemnitz und eine weitere kommunale Körperschaft halten an dem Unternehmen die Mehrheit und könnten direkten Einfluss nehmen, den Kohleausstieg vorzuziehen, ggfls. mit Hilfe von Haushaltsmitteln. Im Chemnitzer Klimaschutzbericht5 kann man sehen, wie stark sich der vorzeitige Kohleausstieg auswirken würde: Bei Kohleverbrennung wird pro kWh Energie mehr als doppelt so viel CO2 emittiert wie bei der Verbrennung mit Gas, worauf die eins gerade umstellt. Die Stadt gewönne wertvolle Zeit auf dem Weg zur CO2-Neutralität, in der an anderen, weniger einfachen und langlaufenden CO2-Reduktionsmaßnahmen gearbeitet werden kann, etwa der Verkehrswende, der energetischen Gebäudesanierung, des Zubaus regenerativer Energien.
- In der Haushaltsperiode 2021/22 muss die Stadt Chemnitz einen Maßnahmenplan Chemnitz klimaneutral 2035 erarbeiten, der rechtzeitig vorm Entwurf des Doppelhaushaltes 2023/24 fertigzustellen ist, um relevante Maßnahmen im nächsten Haushalt zu berücksichtigen. Speziell die junge Generation, z.B. Menschen von Fridays for Future sind hier einzubinden, etwa in Form eines Runden Tisches wie in Dresden11.
- Um finanzielle Steuerbarkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit des kommunalen Klimaschutzes herzustellen müssen relevante Haushaltsposten geeignet zusammengefasst und ausgewiesen werden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen
- Klimaursachenbekämpfung, etwa CO2 reduzierende Maßnahmen wie energetische Sanierung
- Klimafolgenanpassung, etwa Schutzmaßnahmen vor Extremwetterereignissen.
Quellen
1 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
2 Offener Brief an Bürgermeister und Stadträt:innen zum Chemnitzer Doppelhaushalt 2021/22 https://parentsforfuture.de/de/node/3321
3 Analyse des Chemnitzer Doppelhaushaltsentwurfes https://parentsforfuture.de/de/node/3120
4 Musterschreiben mit klimapolitischen Einwänden gegen den Haushalt https://parentsforfuture.de/de/node/3200
5 Chemnitzer Klimaschutzbericht vom August 2020 https://www.chemnitz.de/chemnitz/media/unsere-stadt/umwelt/klimaschutzbericht_2018.pdf
6 Chemnitzer Klimaziele im Integrierten Stadtentwicklungskonzept von 2009 https://chemnitz.de/chemnitz/de/unsere-stadt/umwelt/klimaschutz/index.html
7 Was bedeutet Paris für Chemnitz? https://parentsforfuture.de/de/node/3029
8 Studie des Wuppertal Instituts für Klimaneutralität 2035 - ein Diskussionsbeitrag für Fridays for Future https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/7606
9 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20053/magisches-viereck
10 Braunkohleausstieg in Chemnitz bereits 2024 möglich https://www.tag24.de/chemnitz/politik-wirtschaft/braunkohle-ausstieg-in-chemnitz-bereits-2024-moeglich-warum-reagiert-die-verwaltung-nicht-1947068
11 Erarbeitung des Dresdner Klimaschutzkonzepts mit Beteiligung Fridays for Future am Runden Tisch https://www.dresden.de/de/stadtraum/umwelt/umwelt/klima-und-energie/klimaschutz/klimaschutzkonzept.php