Offener Brief an den Stadtrat Coesfeld

Coesfeld For Future
Coesfeld For Future • 28 Februar 2022
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Offener Brief an alle Fraktionen im Coesfelder Stadtrat als Antwort auf das Fragenformat „Wir fragen – Politiker:innen antworten“

 

Liebe Mitglieder:innen des Coesfelder Stadtrates,

zuerst einmal freuen wir uns sehr, dass Sie mehrheitlich an unserem Interviewformat teilgenommen haben und uns somit Einblicke in ihre Standpunkte zum Thema Klimawandel, Klimaschutz und Klimaanpassung gegeben haben.


Sind wir in Coesfeld dem Klimawandel gut gewappnet?

Laut einer aktuellen Analyse des Umwelt Bundesamtes werden sich bis zum Jahre 2060 die klimatischen Zonen weiter verändern. Die Regionen werden um 100 bis zu 600 km verrutschen. (Quelle)

Münster hätte eine klimatische Veränderung im Zeitraum 2031 - 2060 wie aktuell Paris.

„Bei einem ⁠Klimawandel⁠ ohne Klimaschutzmaßnahmen werden sich die mittleren Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten (2031-2060) deutlich erhöhen, wobei die mittleren Niederschläge sich nur wenig verändern werden. Dies führt zu einer weiteren Verschiebung der klimatischen Bedingungen deutscher Städte in Richtung Südwesten, größtenteils nach Zentral-Frankreich, wo ähnliche Niederschlagsmengen wie in Deutschland existieren.“, heißt es hier. 

Klingt erst einmal traumhaft, oder? Allerdings hat diese Verschiebung drei wesentliche Schwachstellen:

  1. In dieser Analyse wurden keinerlei Wetterextremereignisse dargestellt.
  2. Eine starke Veränderung des Klimas führt zu einer hohen Belastung für das Ökosystem und Infrastrukturen. Sie führt zu mehr Hitzetagen, Tropennächte, Temperaturveränderungen, mehr Trockenperioden und evtl. auch Dürre.
  3. Der Klimawandel wirkt sich auch auf die physische und mentale Gesundheit aus, welche aktuell nicht gemessen werden können. Etwa, wenn Menschen in Hitzewellen sterben, tropische Krankheiten häufiger werden (wie beispielsweise Malaria) und sich in völlig neuen Regionen ausbreiten oder wenn Menschen durch Naturkatastrophen traumatisiert werden (wie im Ahrtal). Dies wird zunehmend eine Belastung werden.

Der neuste IPCC Bericht vom 01.03.2022 wird Ihnen auch hier noch wesentlich mehr Informationen über den aktuellen Stand geben können. (Leseempfehlung)

Wir fragen uns: Ist Coesfeld dafür wirklich so gut aufgestellt, wie Sie dies in Ihren Stellungnahmen dargestellt haben?

Wir finden – Stand heute – dies ist NICHT der Fall. Einige Beispiele, die wir beobachten:

  • Wir sehen am aktuellen Beispiel der baulichen Veränderungen am Bahnhof oder an der Diskussion um alleine zwei Bäume in der Hohen Lucht, dass Bäume ohne mit der Wimper zu zucken gefällt werden. Das Thema Klimaschutz scheint also bereits im Bereich von einfachen Dingen wie dem Baumschutz zu scheitern. Eine Baumschutzsatzung sucht man innerhalb Coesfelds nach wie vor vergebens.
  • Die Innenstadt heizt sich im Sommer immer mehr auf. Das betont auch Ihr Klimaschutz- und Anpassungkonzept. Wir sehen aktuell einen guten Impuls vonseiten des Citymanagements, hier Abhilfe zu leisten, um die Temperaturen in unserer schönen Innenstadt im Sommer zu mildern. Aber werden ein paar mobile Pflanzenkübel und Sitzbänke genug Abhilfe leisten können?  Wird das ausreichen? Braucht es nicht ein städtebauliches Gesamtkonzept, das die Themen Dach- und Fassadenbegrünung und Entsiegelung mit einbindet? (Lesen Sie gerne hierzu unseren Wmk-Beitrag über den Klimawandel in Städten)
  • Rund 600 bauwillige Familien suchen nach einem Bauplatz. Das zeigt, wie attraktiv die Stadt Coesfeld für Familien ist und das freut auch uns sehr. Allerdings werden Neubaugebiete nach wie vor in der Mehrzahl der Fälle weiterhin nach dem 08/15 Standard vorgegeben. Nachhaltiges Bauen im Sinne der Kreislaufwirtschaft und der Energiewende gehört anscheinend nicht zum ausdrücklichen Ziel und darf immer noch in Nebenrollen abgespeist werden. Das neue Baugebiet mit Kettenhäusern und auch die Idee der Tiny Houses, welche aktuell rund um die Marienburg geplant werden, geben Mut für die Zukunft. Die Kettenhäuser sind allerdings erst im Jahre 2026 bezugsfertig sein. Da fließt noch einiges Wasser durch die Berkel, bis diese Maßnahmen umgesetzt sind. Deswegen ist es umso wichtiger, auch die Bebauung in Neubaugebieten mehr in den Fokus zu rücken und Klimaschutzmaßnahmen fest in Bebaaungspläne als Standard zu verankern. 
  • Im Jahre 2018 gab es in Teilen von Coesfeld durch ein Wetterextrem starke Regenmengen, die abgeleitet werden mussten. (Quelle) Damals zog eine Regenfront über Coesfeld. In vielen Häusern kam es zur Überflutung der Kellerräume und zu einem Rückstau der Kanalisation. Auch aufgrund der steigenden Bebauung wird dies in Zukunft in Bestands- und Neubaugebieten eine immer wichtigere Schutzmaßnahme sein. Wenn sich, wie wissenschaftlich angenommen, auch diese Extreme vermehren werden, wo wird das Wasser in Coesfeld Platz finden? Reicht unsere Kanalisation wirklich aus? 

Generell fragen wir uns:  

„Was entwickelt sich schneller? Die Temperaturen oder die städtebaulichen Entwicklungen?“

Das fordern wir daher JETZT:

Der Weltklimarat hat deutlich gewarnt, dass bei einer Überschreitung der Erderwärmung von 1,5 Grad die Risiken für Mensch und Ökosysteme massiv ansteigen und irreversible Kipppunkte im Klimasystem ausgelöst werden könnten. Aktuell schätzt der wissenschaftliche IPCC-Bericht eine Erhöhung um die 2,9 Grad als realistisch ein. Regierungen, Bundesländer und auch Kommunen müssen genauso wie Unternehmen deshalb ihre Aktivitäten unbedingt an der 1,5 Grad Grenze ausrichten. Deutschland und muss bis 2035 klimaneutral sein. Auch Coesfeld muss dieses Ziel erreichen. Die Messlatte sollten also nicht andere Gemeinden oder Städte sein, sondern das 1,5 Grad Ziel!

Jetzt sind Sie gefragt, liebe Ratsmitgliederinnen und Ratsmitglieder:

Forderungen

Sie müssen gemeinsam die Weichen für die Erlangung dieses Ziels stellen und JETZT die nötigen Rahmenbedingungen schaffen für ressourcenschonende, individuelle Entscheidungen. Sie als Rat der Stadt Coesfeld verabschiedeten im Jahre 2016 das Klimaschutz- und Anpassungskonzept mit dem Ziel, "die Treibhausgasemissionen auf dem Stadtgebiet bis 2030 um 30 % und bis 2050 um 80 % gegenüber dem Jahr 2016 zu senken." Quelle) Damit verschieben sie das Problem in die Zukunft und geben sich mit "ein bisschen" zufrieden. Aktuell können Sie nur die Treibhausgasemissionen aus dem Jahre 2016 wiedergeben, welches erst im Jahre 2018 ermittelt wurde. 

Wir wünschen uns ein proaktives Handeln, welches per Definitionen ein vorausplanendes und zielgerichtetes Handeln bedeutet. Als Politiker:innen fordern wir Sie auf, über die nächste Wahl hinaus zu denken und zu planen und im Stadtrat zu Ihrer Verantwortung für die Zukunft in Coesfeld zu stehen. Wir alle haben die Aufgabe, den nachfolgenden Generationen ein gutes Überleben in Frieden zu gewährleisten. Das verlangt Veränderung.

Wir sehen es daher als Ihre Aufgabe an, offen und ehrlich gegenüber der Bevölkerung einzutreten und sowohl wissenschaftliche Forderungen als auch das gesetzte Ziel zum Stopp bei 1,5 Grad Erderwärmung ernst zu nehmen. Mögliche Lösungen, die Wissenschaftler:innen benennen, finden sich in zahlreichen Berichten und Sammlungen, wie z.B. auf www.handbuch-klimaschutz.de  oder in dem Entwurf für ein Gesetzespaket von German Zero. Beide Sammlungen sind in beispielloser Kooperation und interdisziplinärer Zusammenarbeit entstanden.

Wir befinden uns in einem Breitengrad, in dem Leben aktuell noch normal ist. Unsere Meinung ist, gerade das verpflichtet uns zu dem Beitrag, zügig den Weg zur Klimaneutralität einzuschlagen.

In unserem Format „Wir fragen - Politiker:innen antworten“ wurde von Ihnen mehrheitlich die subjektive Wahrnehmung weitergegeben, dass Coesfeld im Klimaschutz und in der Anpassung gut aufgestellt sei. Das finden wir alarmierend. Es weckt den Eindruck, es gebe keinen dringenden Handlungsbedarf. Das sehen wir anders. Ja – wir sind auf dem Weg – aber: Nein - es reicht noch lange nicht!

Wie schnell sich eine Situation verändern kann, hat uns die Katastrophe im Ahrtal gezeigt. Packen Sie es an. JETZT!

Klimatastische Grüße,

Coesfeld for Future