Erpresst Ferrero eine Betriebsgeländeerweiterung?

Pressemitteilung Parents for Future Germany, AG Danni lebt vom 9.12.22 

Erpresst Ferrero eine Betriebsgeländeerweiterung?


Laut dem hessischen Staatsanzeiger möchte die Ferrero OHG drei Hektar Wald roden, um ihr Stadtallendorfer Betriebsgelände zu erweitern: Die Produktion von „Mon Cheri“ soll modernisiert werden. Gleichzeitig sollen ein Alkohollager, eine Kältestation und ein Wertstoffzwischenlager erbaut werden. (1)

Ferrero nimmt bei der Erweiterung billigend in Kauf, dass das Trinkwasser einem massiven Risiko ausgesetzt wird. Denn die Baumaßnahmen finden in der Wasserschutzzone II statt und zugleich an einem Altlastenstandort, an dem während des zweiten Weltkriegs über 100.000 Tonnen des hochgiftigen Sprengstoffs TNT produziert wurden. Dabei gibt es verschiedene Gefährdungspotenziale.

  1. Es ist geplant, dass die Baugruben der Fundamente in die grundwasserüberdeckenden Schichten innerhalb der Wasserschutzzone II eingreifen - in unmittelbarer Nähe zu Trinkwassergewinnungsanlagen. Einen ähnlichen Eingriff beim aktuellen Bau der Gleentalbrücke bezeichnete der ehemalige Leiter des Zweckverbandes Mittelhessische Wasserwerke Karl-Heinz Schäfer als „Operation am offenen Herzen“, weil die wichtige Boden-Schutzschicht über dem Wasser unwiederbringlich zerstört wird und mit den Fundamenten Schadstoffe in das Wasser eindringen können.(2)
     
  2. Die geplanten Arbeiten sollen auf einem Altlastenstandort durchgeführt werden, an dem jährlich ca. 100 Kilogramm an Sprengstoffen aus dem Wasser gefiltert werden.(3) Das zeigt, dass trotz erfolgter Sanierung immer noch große Mengen an hochgiftigen Stoffen vor Ort sind. Wegen der möglichen Kontamination des Bodens ist Ferrero aufgegeben, die „bei den Rodungsarbeiten anfallenden … Stammhölzer und Äste …  aufgrund des potentiell belasteten Untergrundes als TNT belastete Abfallhölzer thermisch zu entsorgen“. Außerdem darf die Baumfällung „ – soweit absehbar – nur in niederschlagsfreien Zeiträumen durchgeführt werden“, da die „Rodungsmaßnahme … insbesondere in Verbindung mit Niederschlägen zu einem vermehrten Eintrag von (Schad)Stoffen …“  führen kann. Trotz dieser Belastungssituation gibt es für die geplanten Arbeiten kein Bodenmanagementkonzept,(4) also kein Beprobungs – und Entsorgungskonzept für die Erde der insgesamt fast sechs Hektar Fläche, die um drei Meter abgegraben werden soll. Das widerspricht dem hessischen Baumerkblatt. (5)
     
  3. Mit dem Ausbau ist der Rückbau von Grundwassermessstellen verbunden, mit denen u. a. die Belastung des Wassers mit Giften aus der Sprengstoffproduktion gemessen wird. Es erschließt sich aus den Unterlagen nicht, warum die Messstelle P 4 mit Konzentrationen zwischen 100 und 1.600 Mikrogramm/ Liter sprengstofftypischer Verbindungen ersatzlos gestrichen werden darf und warum diese Messstelle, die seit vielen Jahren beprobt wird, gerade jetzt nicht mehr notwendig sein soll, wo Ferrero Baumaßnahmen durchführen möchte.(6)
     
  4. Zusätzlich wird durch die geplanten Arbeiten die hydraulische Sicherung des Altstandortes gefährdet. Diese Sicherung umfasst ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen aufeinander abgestimmten Brunnen, das dazu dient, den Eintrag von sprengstofftypischen Verbindungen in das Grundwasser zu minimieren.(7) Ein für diese Sicherung wichtiger Brunnen muss aufgrund der Abtragung des Geländes tiefer gelegt und abgeschaltet werden. (8) 

Es steht außer Frage, dass die Brunnenabschaltung Auswirkungen auf die Sicherung des Grundwassers hat.(9) Allerdings wurden diese Auswirkungen nicht untersucht – nicht im Rahmen Umweltverträglichkeitsprüfung (10) und auch nicht in dem hydrogeologischen Fachgutachten, das für eine abschließende Bewertung einer Gefährdung des Schutzgutes Grundwasser und der Trinkwassergewinnung durchgeführt werden sollte. Dort heißt es vielmehr, dass der Brunnen permanent betrieben werden muss!  (11)

Dennoch gibt die ahu GmbH an ohne schlüssige Argumentation an, dass eine Außerbetriebnahme von 100 Tagen verantwortbar sei. (12) Es wird nicht dargestellt, wie sich die Abschaltung des Brunnens auf die Fließrichtung des Wassers und auf die Verbindung zum Hauptgrundwasserstockwerk auswirkt. Es heißt lediglich, für die betroffene „Solling-Formation“ im ersten Grundwasserstockwerk seien „auf Grundlage von Traceruntersuchungen“ Grundwasserfließgeschwindigkeiten von ein bis zwei Metern pro Tag ermittelt worden. (13)  In der angegebenen Quelle, dem Abschlussbericht Monasta sind für den betroffenen Bereich aber keine Traceruntersuchungen dokumentiert. Stattdessen werden in dem Bericht für unterschiedliche Bereiche des Geländes unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten angegeben. (14) Dem entspricht, dass davon ausgegangen wird, dass die Fließrichtungen im ersten Grundwasserstockwerk variieren und die Fließgeschwindigkeit  im zweiten - nur unvollständig vom ersten getrennten - (Haupt-)Grundwasserstockwerk  zwischen 1,3 und 83 (!) Metern pro Tag variiert. (15) Wie in dem hydrogeologischen Fachgutachten dargestellt ist es daher nicht verantwortbar, dass der für die hydraulische Sicherung wichtige Brunnen abgeschaltet wird – erst recht nicht für 100 Tage.  

Mit diesen ganzen Risiken für das Trinkwasser ist klar: es kann nicht ausgeschlossen werden, „dass erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen durch das Vorhaben hervorgerufen werden können.“(16) 

Nach dem Gesetz darf bereits vor der Erteilung einer Genehmigung auf Antrag mit Baumaßnahmen begonnen werden u. a., "wenn mit einer Entscheidung zu Gunsten des Antragsstellers gerechnet werden kann." (17) Einen solchen Antrag hat Ferrero gestellt. Warum das Regierungspräsidium Gießen diesem Antrag trotz der dargestellten massiven Gefahren entsprechen möchte, lässt sich eventuell durch einen Blick in die Umweltverträglichkeitsstudie erklären. Dort formuliert Ferrero eine einzige Alternative:  „Ohne den Neubau der Halle 3.1 und dessen Nebenanlagen muss die Produktion von Mon Cheri am Standort Stadtallendorf eingestellt werden.“ (18) Katharina Lipinski von den Parents for Future kommentiert: „Diese Alternative liest sich wie eine Erpressung – wenn das Projekt nicht genehmigt wird, dann werden Arbeitsplätze abgebaut! Es ist völlig unverständlich, warum Ferrero nicht aufgegeben wurde, echte Planungsalternativen zu prüfen.“  Davon sind viele denkbar: eine Modernisierung der Produktionsanlage am jetzigen Standort, ein Bau ohne Abtragung des Geländes, d. h. auch ohne die Notwendigkeit der Brunnenabschaltung oder  ein Neubau auf einer anderen Fläche, wie z. B. dem benachbarten riesigen Parkplatz.

Statt also echte Planungsalternativen einzufordern, schreibt das Regierungspräsidium den beteiligten Sachbearbeiter:innen: „Aufgrund der hohen Bedeutung des geplanten Vorhabens der Firma Ferrero OHG für den Wirtschaftsstandort Stadtallendorf und die damit verbundene hohe Investitionssumme zur  Fortentwicklung des Produktionsstandortes wird um priorisierte und schnellstmögliche Prüfung des Sachverhaltes ... gebeten.“ (19) 

Das klingt nicht so, als ob es wahrscheinlich ist, dass das Regierungspräsidium Gießen Ferrero nach der erfolgten Rodung die Baugenehmigung noch verweigern würde. Immerhin wäre Ferrero dann verpflichtet, den früheren Zustand wiederherzustellen. Einem Gutachten zufolge würde es aber über zwei Millionen Euro kosten, den gerodeten Wald zu erneuern. (20)

Die Danni AG der Parents for Future ruft daher dazu auf, bis zum 23.1.2023 die Möglichkeit für Einwendungen gegen den Antrag auf vorzeitige Rodung zu nutzen. (21)

Parents for Future Germany / AG Danni lebt
Kirsten Prößdorf, Tel 0177/4225121
c/o IH Cologne Insula 
Vogelsanger Str. 61, 50823 Köln 
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www.danni-lebt.de

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Fußnoten:

1.    https://www.staatsanzeiger-hessen.de/dokument/?user_nvurlapi_pi1%5Bdid%… S. 1266, Bis zum 22.11.22 lassen sich die dazugehörigen Unterlagen mithilfe eines Zip-Entpackungsprogramms hier online abrufen: https://hessendrive.hessen.de/public/download-shares/f5ieWOCtVULb1jipy8… .Für die entscheidungsrechtlichen Unterlagen im PDF-Format ist kein eigenes Programm erforderlich.
2.    https://bund-nordschwarzwald.de/service/meldungen/detail/news/operation…
Z. B. heißt es in den entscheidungsrechtlichen Unterlagen S 175ff.„Durch die geplante Baumaßnahme besteht während der Bauphase eine temporäre Grundwassergefährdung … einerseits durch einen möglichen Eintrag von wassergefährdenden Stoffen, die im Zusammenhang mit der Baumaßnahme verwendet werden und mögliche Schadstoffmobilisierung aufgrund der Lage im Bereich des ehemaligen Rüstungsaltstandorte.“
3.    Vgl. die Grafik rechts auf: https://www.him-stadtallendorf.de/arbeitsfelder/wasser_hydr_sicherung.h…
4.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 67, S: 39, S. 42 und  S. 134 oben. 
5.    https://rp-kassel.hessen.de/sites/rp-kassel.hessen.de/files/2022-08/bau… (S.5) Dementsprechend fordert das hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie: „Für die geplanten Bodeneingriffe sind sorgfältige Überwachungsmaßnahmen entsprechend der möglichen sprengstofftypischen Belastungen im Bodenaushub vorzusehen.“ Siehe Entscheidungsrechtliche Unterlagen  S. 176, auch im Original fett gedruckt!
6.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 146f, seit 2017 steigen die Werte sogar wieder an. 
7.    https://www.him-stadtallendorf.de/arbeitsfelder/wasser_hydr_sicherung.h…
8.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 35
9.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 137
10.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 45
11.    Unterlage A8_6365, S. 22
12.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 35. In Ermangelung eines Bauzeitenplans ist aber gar nicht klar, wie lange Ferrero die Abschaltung plant.
13.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 158 ff
14.    https://www.him-stadtallendorf.de/download/broschueren/Abschlussbericht… , Dort heißt es, heißt es, die Traceruntersuchungen seien lediglich im zweiten Grundwasserstockwerk und im Bereich der (entfernten) Tri-Halde durchgeführt worden. An einer anderen Stelle im Bereich der betroffenen Solling-Formation wurde dagegen eine Fließgeschwindigkeit von zehn Metern pro Tag gemessen.  S. 11, 25f. 
Eine Abbildung der Grundwasserstockwerke findet sich hier auf S. 37 https://www.him-stadtallendorf.de/download/broschueren/Abschlussbericht… Gut erkennbar ist dort die Verbindung zwischen dem ersten und zweiten Grundwasserstockwerk. (vgl,. S. 172 der entscheidungsrechtlichen Unterlagen). 
15.    Monasta-Abschlussbericht  S. 31, S. 11   - Per Definition ist dabei die tatsächliche – nicht genau messbare - Fließgeschwindigkeit deutlich höher als die (messbare) Abstandsgeschwindigkeit. https://www.spektrum.de/lexikon/geowissenschaften/abstandsgeschwindigke…
16.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen, S. 207. Der Autor des Dokuments ist inzwischen nicht mehr für das Verfahren verantwortlich.
17.    §8a BlmSchG (Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge), vgl.  S. 38 der entscheidungsrechtlichen Unterlagen.
18.    20.1. Umweltverträglichkeitsprüfung  S. 9
19.    Entscheidungsrechtliche Unterlagen S. 82
20.    Unterlage 19.2.1. S. 1, 17
21.    Noch bis zum 23. Januar 2023 können nach § 10 Abs. 3 Bim SchG Einwendungen gegen die Pläne von Ferrero erhoben werden, schriftlich beim Regierungspräsidium GIeßen oder elektronisch an: geschaefts-zimmer.bimschg@rpgi.hessen.de .Am 14.3. zwischen 9 und 18 Uhr werden die Einwendungen in der Stadthalle von Stadtallendorf erörtert - falls die Behörden die Einwendungen für erörterungswürdig halten.
 

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