Nutzloses Zeug
Chemnitz, 26.4.2025
An einem sonnigen Sonnabend im Kulturhauptstadtjahr schlägt das Künstlerkollektiv Florian Baum wieder zu. Bekannt durch seltene Trauerzüge für sterbende und tote Bäume, widmet es sich nun den Platanen. Hier lest ihr Hintergründe, Mikroskopisches und einiges mehr.
Während die von sterbendem zu sterbendem Baum ziehenden Trauerzüge - an einer Reihe schweigend gehender Menschen in Trauerfloor, mit schwarzem Schirm und grüner Gießkanne erkennbar - den bedauernswerten Exemplaren einen symbolischen Guß brachten, und übrige Passanten zum Wundern, Kopfschütteln und anderem animierten, ging es nun um Platanen. Und vor allem ums Gespräch mit Leuten, die sich interessierten, oder irgend eine andere Regung der Kommunikations-Offenheit zum Ausdruck brachten.
Ein Italiener, des Deutschen ein klein wenig mächtig, und der sich nach dem Karl-Marx-Kopf erkundigte, fragte die Kollektivisten, was sie denn hier machten. Sprachbarrieren lassen sich bekannter Maßen pantomimisch erheblich verringern so nach dem Motto "dann reden wir mit Händen und Füßen". Mit dem im Rettungswagen für Bäume - dem Lastenrad - befindlichen Stethoskop ließ sich die Intention des Künstlerkollektivs mit einer kurzen Geste verdeutlichen. Der Italiener verstand sofort, und verabschiedete sich mit empathischen Gesten und Worten Richtung Denkmal. Pantomime - wieviel sagt sie eigentlich im Vergleich zum Bild und seinen tausend Worten?
Andere Interessierte - offensichtlich alles deutsche Muttersprachler*Innen wie ein älteres Chemnitzer Paar, eins aus dem Erzgebirge, aus Berlin, aus Tübingen, eine Dame aus Friedrichshafen und schließlich eine aus dem Westen stammende, Chemnitzer Gastronomin - erfragten ebenso wie der Italiener eine Erklärung für das nutzlose Treiben der Florian Baum Protagonisten: "Was macht ihr denn hier?" Kennt man ja, als Kunstbetrachter, das Werk sehend, oder hörend: "Was will mir der Künstler damit sagen?"
Straßenkunst, sehr verbreitet in aller Welt, in Chemnitz, ein sehr zartes bis unbekanntes Pflänzchen. Und man muss hier im 250.000 Seelen Dorf Glück haben, wenn nicht Polizei und Ordnungsamt auftauchen, um gegenüber Straßenkünstlern Befehle auszusprechen. Etwa bei einer gleichartigen Aktion vorm Technischen Rathaus, wo die biologisch abbaubaren Bastfäden sanft am Platanenstamm angebunden wurden, die sodann im Winde wehten, und schließlich ein biologisch abbaubarer Aufkleber angebracht wurde:
Warum Platane? Sie ist gegen Frostereignisse in der frühjährlichen Austriebsphase weniger beständig als heimische Laubbäume, bspw. Winterlinde, Esche, Eiche, Rotbuche. Die ahornblättrige Platane - eine Kreuzung aus der morgenländischen und der abendländischen - ist nirgendwo heimisch, eine der Elternarten kommt natürlicherweise im Mittelmeerraum vor. Im Frühjahr 2024 gab es ein Frostereignis in der Austriebsphase, das insbesondere stark schattig stehende Exemplare auf dem Chemnitzer Rosenhof viel deutlicher geschädigt hatte als vergleichsweise gut sonnenbeschienene. Nach 3 bis 4 solchen Ereignissen könnten die meisten Platanen der Stadt abgestorben sein, so die auf Aussagen von Baumexperten beruhende Befürchtung des Künstlerkollektivs. Die Stadtverwaltung Chemnitz hat eine große Zahl Platanen in den Boden bringen lassen, um der Klimakrise zu trotzen.
Die Künstler glauben an die Bastfäden im Winde, die Lebensgeister, den kostenlosen Odem Gottes, der den Platanen noch innewohnt. Andere glauben an Chemtrails, mithin 40% der von Florian Baum nicht repräsentativ Befragten.
Wie sinnvoll sind Baumschulenzucht und Massenpflanzung von Platanen als vermeintlich klimaresilienter Baum? Warum Platanen, und nicht heimische Arten?
Bastfäden an Bäume - welch elender Vandalismus, welche Beleidigung fürs Auge, mögen sich manche Vogel zeigenden Autofahrer gedacht haben. Kleinere Kinder schauen interessiert, speziell das Stethoskop zieht manchen ihrer Blicke an. Aber kein Elter legte ein Päuschen ein. Die Friedrichshafenerin fragte, ob denn die Künstler "von der Kulturhauptstadt" seien. Natürlich, beide wohnen hier, Projektgelder bekommen sie selbstverständlich nicht. Die seien auch völlig unnötig, schließlich ist der Ausgangspunkt die Platane, und nicht die Kulturhauptstadt.
Es entspannen sich mit den Interessierten wunderbare Gespräche, natürlich über Sinn und Zweck der Platanenaktion, dass Chemnitz eine wunderschön grüne Stadt sei, und was Chemnitz und ihre Bewohner sonst so tun für Natur, Klima, Umwelt. Immer weniger werdende Baumpatenschaften, klar, oder so amtsseitige Glossen wie "Bäume dürfen doch nicht einfach so gegossen werden." Wassercontainer, wo sich in der Landeshauptstadt Gießwillige unter dem Motto #dresdengießt Wasser zapfen können - undenkbar in Chemnitz. Mottoursprung war übrigens #chemnitzgießt. Das vorm Verhökern stehende Umweltzentrum, seine Geschichte, wie es zu DDR Zeiten um die Umwelt bestellt war - auch ein besprochenes Thema. Der Hinweis der Friedrichshafenerin, "können da nicht Stiftungen ..." - Florian Baum musste entgegnen, dass die allermeisten privaten Vermögen im Osten sehr klein sind, im Gegensatz zum Westen, und dass ein Vererben an Stiftungen ziemlich unbekannt und unüblich ist.
Die Gesprächspartner*Innen aus dem Westen wollten wissen, warum hier die faschistische AfD von so vielen gewählt wird. Es sei doch mit europäischer und westdeutscher Finanzhilfe sowie der Tatkraft der hiesigen Bevölkerung einschließlich der Zuwanderer so viel Gutes geschaffen worden, undenkbar wie es aussehen würde, hätte die DDR fortbestanden.
Nutzloses Zeug, das die Künstler um Florian Baum in die Welt brachten. Als solches wird Kunst hin und wieder bezeichnet - Adorno sieht die Nutzlosigkeit gar als Bedingung an, dass es sich überhaupt um Kunst handelt. Oder nicht? Was ist Kunst? Der Begriff scheint beliebig, und vielleicht sogar als Anmaßung, wird er anderen Werken als denen "aus der anerkannten Kunstszene" zugeschrieben. Mit dem Zitat eines ehemaligen Unteroffizieres der Nationalen Volksarmee, was Kunst sei, wollen wir die Retrospektive zu Florian Baums neuestem Format beschließen: "Kunst kommt von Können, und nicht von Wollen, sonst würde es Wunst heißen."