Nachlese von Hintergrundgesprächen zum neuen Chemnitzer Klimaplan
Chemnitz, 12. und 15.6.2023
Nach unserer Bewertung des neuen Chemnitzer Klimaplans kam es zu 2 Hintergrundgesprächen: Mit einer im Stadtrat vertretenen politischen Partei, und der Stadt Chemnitz. Gespräche, die wir hier nachlesen wollen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einerseits guter Wille erkennbar ist, möglichst viel für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu tun. Ebenso, dass alles Geplante bei weitem nicht ausreicht, das Pariser 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Andererseits herrscht weitgehend Hilflosigkeit angesichts menschengemachter "Rahmenbedingungen", die zwar grundsätzlich veränderbar sind, eine Änderung aber unmöglich erscheint. Natürlich ist nur veränderbar, was im städtischen Einflussbereich liegt. Und natürlich hängt das Machbare oft von äußeren Bedingungen ab, die auf den 1. Blick unbeeinflussbar sind. Stehen solche Bedingungen im Weg, nimmt man das scheinbar achselzuckend hin und geht zur Tagesordnung über, statt aufzubegehren. Keine konzertierte Aktion aller Gutwilligen zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen - das Aufbegehren bleibt an zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der Klimabewegung hängen.
Um wenigstens thematisch den Schulterschluss mit den Verantwortlichen hinzubekommen haben wir der Stadt, ebenso wie seinerzeit der eins Energie angeboten, der Klimabewegung Themen zu liefern, die für mehr Klimaschutz im Weg stehen. Was wir dann auf die Straße tragen könnten. Und in deutschlandweite Netzwerke der Klimabewegung inhaltlich einbringen, um überregionale und bundesweite Schwerpunkte richtig zu setzen.
Das Parteigespräch am 12.6.
Im Gespräch hatten wir unsere Sicht auf den Klimaplan dargelegt, danach sprachen Vertreter*innen der Stadtratsfraktion der betreffenden Partei. Unsere Schwerpunkte waren:
- der veraltete wissenschaftliche Stand des neuen Klimaplans, der auf dem 5. und nicht auf dem neuesten, 6. Bericht des IPCC fußt
- die Ökozidalität von Holzverbrennung im Kraftwerksmaßstab, wie sie der Versorger eins Energie in Form von 2 Holzkraftwerken plant, und wie diese vom Chemnitzer Klimaplan promotet werden
- dass klimaneutrale Wärmeversorgung in Chemnitz ohne Holzkraftwerke und mit Großwärmepumpen kostenneutral möglich ist, wobei die eins Energie schon mit Großwärmepumpen plant, diese aber zu klein sind
Der Riss in der Fraktion verlief entlang der Altersgrenze: junge Abgeordnete sind voll auf Seiten der Forderungen von uns Klimaaktivisten mit O-Tönen wie: "wir müssen jede vermeidbare CO2 Emission verhindern". Die ebenso wenig Verständnis wie wir hatten für übliche Greenwashing-Argumente:
- "Ein verfeuerter Baum emittiert nur so viel CO2 wie er gebunden hat und damit sei seine Verfeuerung klimaneutral"
- "wir glauben der eins und sie hat uns zugesichert, dass keinerlei Bäume verfeuert werden"
- "Großwärmepumpen sind in Chemnitz unmöglich, deshalb 2 Holzkraftwerke, und außerdem brauchen wir einen breitestmöglichen Technologiemix"
Die eins Energie hat zu keinem Zeitpunkt der interessierten Fachöffentlichkeit Varianten und Berechnungen vorgestellt, die gegeneinander abgewogen und wurden, und aus denen ein zwingender Schluss hervor geht, dass nur Holzverbrennung und nichts anderes geht. Im Gegenteil: Der Versorger hatte die Holzkraftpläne 2021 beerdigt. Sie werden zur Versorgungssicherheit also überhaupt nicht benötigt, denn sonst hätten die Pläne nicht beerdigt werden können.
Die Genehmigungsbehörde für die Holzkraftwerke ist die Regierungsdirektion Chemnitz, der man die Bedenken dann vortragen müsste.
Mit der Parteifraktion bestand jedoch Konsens, dass der Klimaplan - zumindest bezogen auf die veralteten wissenschaftlichen Grundlagen - zu überarbeiten ist. Dass die enthaltenen Klimaschutzmaßnahmen aber unabhängig davon beschlossen und umgesetzt werden können.
Das Gespräch mit der Stadt Chemnitz am 15.6.
Der Vertreter*in der Stadt gelang es in 15 min, praktisch die gesamte Chemnitzer Klimapolitik höchst faktenreich und zugleich kurzweilig darzustellen. Eine Meisterleistung angesichts der Vielschichtigkeit des Themas.
Protokoll
Hier ein Auszug der Mitschriften - mit unseren Anmerkungen in Klammern:
- Neues Klimaprogramm nicht ideal, aber ausbaufähige Grundlage für die Zukunft
- Klimaneutralität ist 2040 angestrebt, wenn möglich früher (Anmerkung: der für die Zeit nach dem Kohleausstieg ambitionslose Klimaplan der eins Energie mit Klimaneutralität 2045 konterkariert das städtische Ziel völlig)
- Alle im Plan grün unterlegten konkreten Klimaschutzmaßnahmen sind im Haushalt finanziert. Das betrifft alle, die im Doppelhaushalt 2023/24 vorgesehen sind.
- Die am Klimaplan mitwirkende Wirtschaftslobby (IHK, Handwerkskammer) hatte dazu ihre energie-/umweltpolitischen Zuständigen entsandt (Anmerkung: Es wäre wichtig, klassische Umweltverbände wie BUND, Nabu, Greenpeace mitwirken zu lassen)
- (Stadtrats-)Beschlüsse werden immer mit einer Einschätzung zu Klimaauswirkungen versehen. Dazu wird seit Ende 2021 ein Formblattverfahren benutzt und demnächst evaluiert.
- Der Energieverbrauch in Chemnitz stagniert statt zu sinken. Es gibt gegenläufige Effekte zu Energiesparmaßnahmen, etwa der steigende Strom-Mehrverbrauch durch immer stärkere Digitalisierung.
- Das dickste zu bohrende Brett ist die mühselige energetische Sanierung, damit der Wärmeverbrauch sinkt. Dazu gibt es energetische Quartierskonzepte. Der energetische Standard von Wohnblöcken der Moderne, die örtlichen Großvermietern gehören, ist oft schon sehr gut.
- Modell FASA: Der mittelständische, Chemnitzer Baukonzern FASA AG baut und saniert seriell / standardisiert. Ergebnis: energetisch hoch effiziente Gebäude. Das Verfahren müsste enorm skaliert werden, um in der Region die nötige, nachhaltige Gebäudeenergetik abzusichern.
- Es sind 79 MW Fotovoltaik installiert - die Dächer der gesamten Stadt haben ein bislang brach liegendes Potenzial von 480 MW.
- In Chemnitz werden 10% des Stroms und 6% der Wärme regenerativ erzeugt (Anmerkung: Damit liegen wir weit unterhalb des deutschen Durchschnitts. Ohne CO2-emittierende Biomasseverfeuerung wären es nur 2% regenerative Wärme -> ein riesiges Potential für Wärmepumpen)
- Grüne Fernwärme: Die Stadt setzt in den Klimaschutzmaßnahmen auf die Holzkraftwerke der eins Energie - das wird der Stadt lediglich zugeliefert, ohne dass sie Einfluss hat.
- Die kommunale Wärmeplanung wird in Angriff genommen. Sorgenkind sei hier die eins Energie, weil sie die Erzeugerdaten zuliefern muss. (Anmerkung: Die eins setzt bei Fernwärme auf 2 Holzkraftwerke und kann die fehlenden Daten vermutlich schnell zuliefern, sobald die laufende Ausschreibung und Genehmigung durch die Regierungsdirektion rum ist. Eine Umplanung auf Großwärmepumpen wie in der Forschungsarbeit der TU Chemnitz vorgesehen würde vermutlich zusätzliche Zeit kosten und die kommunale Wärmeplanung verzögern. Wir sagen: Am Zeitdruck darf die bestmögliche Lösung, also ohne Holzkraft auszukommen, nicht scheitern.)
- Große Solarflächen sind lt. Klimaschutzteilkonzept geplant: Parkplatz Messe für Fotovoltaik, Solarthermiefelder.
- Die "Klimamillionen" des Bundes sollen u.a. in die Ausrüstung der Dächer städtischer Gebäude mit Fotovoltaik fließen.
- Chemnitz schließt Windkraftanlagen in ihren Wäldern aus.
- Windparks gibt es in Wittgensdorf und auf dem Galgenberg. Neu hinzu kommt der Katzenberg in Euba - allerdings ist der von interessierter Seite angeheizte Widerstand erheblich (Anmerkung: Ein Stadtrat und Landtagsabgeordneter nimmt die Aussagen der Antiwindkraftlobby und Verschwörungstheoretiker auseinander: https://volkmar-zschocke.de/windkraftstreit-euba-fakten-statt-propaganda/ ) Sofern Windräder nicht von der eins errichtet werden, ist die Stadt Genehmigungsbehörde.
- Die eins Energie will Wasserstoff herstellen, Bedarfe mit Blick 2040 sind in Ermittlung (Anmerkung: Es ist unbedingt zu schauen, ob Chemnitz und Umgebung in Zukunft genug Wasser für die Elektrolyse haben wird. Laut LfULG versiegt das Grundwasser in Sachsen in der 2. Hälfte des Jahrhunderts).
- Die Abfallwirtschaft will ihre Fahrzeuge mit Wasserstoff betreiben (Anmerkung: Die Stadt Montpellier hat wegen der enormen Kosten die Idee großer Wasserstofffahrzeuge fallen lassen, da E-Fahrzeuge im Betrieb nur 1/6 kosten und auch in der Anschaffung nur 50%: https://www.golem.de/news/oepnv-montpellier-gibt-wasserstoffbusse-auf-und-nimmt-e-busse-2201-162352.html )
- Wasserstoff sei auch Speichermedium für überschüssigen regenerativen Strom (Anmerkung: Überschüssiger Strom lässt sich viel effizienter in Wärme verwandeln und in großen Wärmespeichern vorhalten -> Fernwärme)
- Verkehr
- Chemnitzer Straßenbahnen werden komplett mit Grünstrom betrieben (Anmerkung: Das kann eigentlich nicht sein, zumal der Strommix der eins eine erheblich schlechtere Treibhausgasbilanz hat als der deutsche Durchschnitt)
- Begrünung und KFZ-Spurreduzierungen im Zuge neuer Straßenbahnen Chemnitzer Modell. Machbarkeit Straba Kaßberg wird untersucht. Weitere neue Straba-Gleise avisiert
- Masterplan E-Mobilität incl. Carsharing in Arbeit
- Geschwindigkeitsreduktion Südring wurde umgesetzt
- Für das Radwegenetz ist das Tiefbauamt zuständig
- Natur/Klimaanpassung
- Im Chemnitzer Norden wird ein neues Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen
- Es gibt Stadtklimauntersuchung
- Renaturierung Pleißebach erfolgt
- Wasserrückhaltung / Schwammstadt
- ESC arbeitet an Wasserausleitung an der Pelzmühle
- Generell bei Neubauen / Bebauungsplänen: Drosselung Regenwasserabfluss + so gut wie möglich im Boden versickern. Plus Zisternen als Wasserspeicher für regenarme Zeiten.
- Es gibt Zero Waste Konzept
- Nach höchstrichterlichem Urteil ist Weg für Verpackungssteuer frei
- Chemnitz ist Fairtradestadt
- Das energiepolitische Programm wird ständig fortgeschrieben.
- Teilbereiche des Klimaschutzes sind schon kommunale Pflichtaufgaben - allerdings unzureichend finanziert
- Klima und Umwelt wird in Schulen thematisiert.
Diskussion, u.a. von Dilemmata
Nach dem 15-minütigem Input gab es eine fruchtbare, ehrliche Diskussion. Wir haben vor allem darauf gedrungen, Steine, die einem besseren Klimaschutz im Weg liegen, aufzuzeigen. Hier wesentliche Punkte:
- Speziell Windkraft: endlose Genehmigungsverfahren, teilweise scheitert es an der Verfügbarkeit nötiger Formulare
- Baubeginne hängen an Fördermittelzusagen - die Zeiträume bis Zusage dauern eine halbe Ewigkeit, so dass wertvolle Zeit verloren geht
- Unzureichende, diskontinuierliche Klimafinanzierung
- Einfache CO2-Sparmaßnahmen wie Tempolimits werden aufgrund mangelndem politischen Willen nicht umgesetzt
- Der energetischen Sanierung im Altbaubereich steht zu oft der Denkmalschutz im Weg. Hier bedarf es künftig einer pragmatischeren Arbeitsweise.
- Positiv: Die Strompreiserhöhung 2022 hat für erheblichen Zuwachs an PV-Leistung gesorgt
- Zu vielen ist das Thema Klima und Umwelt egal, sie interessieren sich nicht dafür. Als das Chemnitzer Klimaprogramm 2012 erstmalig erarbeitet wurde haben sich 7 von ca. 250.000 Einwohner*innen gemeldet und eingebracht.
Appelle der Future-Gruppen
- Ehrliche Kommunikation. Öffentlich nicht nur schönreden, sondern Dilemmata genau so laut benennen. Dass es trotz allem Bemühen nicht reicht.
- Analog zu unserem Appell an die eins Energie vom 9.2.2023:
- Weniger kommunizieren "Was ist beim Klimaschutz realistisch?", sondern mehr: "Was wäre nötig?". Das zeigte Dilemmata auf, die von der Klimabewegung auf die Straße getragen werden können.
- Der Klimabewegung sollen Klimaschutz verhindernde/bremsende Einzelheiten genannt werden, die von Fachleuten der Verwaltung aus Loyalität oder Angst nicht laut gesagt werden können. Das laute Sagen - natürlich ohne Angabe der Whistleblower und der notwendigen Verallgemeinerung, dass Whistleblower nicht mehr über den Kontext erkennbar sind - kann die Klimabewegung übernehmen.
Fazit
Beide Seiten - Stadt und For-Future-Gruppen - wollen Dialog und inhaltlichen Austausch fortführen.