Neues Chemnitzer Klimaprogramm - das bei Weitem nicht ausreicht
Chemnitz, 28.6.2023
Der Chemnitzer Stadtrat soll am 28.6.2023 per Beschlussantrag B-075/2023 das überarbeitete Klimaprogramm1durchwinken, das dem Gremium am 12.10.2022 per B-156/2022 schon einmal vorgelegt wurde2. An unserer grundsätzlichen Bewertung vom 12.10.2022, dass der Stadtrat damit beschließt, das Pariser 1,5 Grad Ziel zu beerdigen, hat sich nichts geändert3. Gleichwohl wollen wir an dieser Stelle unsere Bewertung präzisieren, wobei wir mit nur 1 Woche Vorlauf von der Stadt gebeten wurden, ehrenamtlich Stellung zu den insgesamt 186 Seiten zu nehmen, so dass es in der Sitzung des Agenda-Beirates am 1.6.2023 eingebracht werden kann. Weshalb die Bewertung naturgemäß eher grundsätzliche Punkte aufwirft denn Vollständigkeit im Detail und umfassende Konsensierung in der Klimabewegung sicherstellt.
Warum ist das Chemnitzer Klimaprogramm unzureichend?
Die 186 Seiten enthalten in tabellarischer Form absolut sinnvolle und konkrete Klimaschutz-, Klimaanpassungs- und Umweltschutzmaßnahmen: Konzepte, Umsetzungsvorhaben, teils mit Bezug zu Entgeltsatzungen.
Positive Einzelbeispiele im Bereich Klimaanpassung 2023 - 2025 sind etwa1
- 1.4 Verpflichtung von Grundstückseigentümern
- Umwidmung städtischer Flächen im Nutzungswandel zu urbanen Wäldern, siehe Maßnahmenbündel 4.1.3
- 6.3.5 Naturschutz, Erhalt der Biodiversität und Bodenschutz
Und vieles andere, wirklich Unterstützenswerte.
Tragisch ist, dass sie einerseits unter Finanzierungsvorbehalt stehen - also im Zweifel fallen gelassen werden. Andererseits sind die Maßnahmen inzwischen viel zu marginal bezogen auf die über Jahrzehnte angeschwollene Größe der Klimakrise, und der daraus resultierenden Dringlichkeit und Schärfe des Gegensteuerns.
Kommunaler Klimaschutz ist aber eine Daueraufgabe, ähnlich Sozialem und Bildung. Beim Klima sind wichtige Vorhaben abhängig von unsteten, tröpfchenweisen Projekt-Fördermitteln. Weshalb wir anbieten, gemeinsam mit der Stadt für eine kommunale Pflichtaufgabe "Klimaschutz" zu kämpfen, die von Bund und Ländern kontinuierlich zu finanzieren ist.
Die Klimakrise kostet Deutschland bis 2050 ca. 900 Mrd. € - Chemnitz muss also ab 2025 mit ca. 100 Mio. € Klimafolgekosten pro Jahr kalkulieren13. Mithin müssten ca. 10% eines Jahreshaushalts in Rücklagen fließen, um die Kosten künftiger Katastrophen zu decken. Zum Vergleich: Die Ausgaben für Klima, Umwelt, Stadtgrün etc. betragen ca. 2% des städtischen Finanzhaushalts12,18.
Das in der Finanzfalle befindliche Klimaprogramm ist der Abschied vom Pariser 1,5 Grad Ziel - denn Chemnitz strebt erst 2040 die Klimaneutralität an, nötig fürs Pariser Ziel wäre 20303,8. Zumal ein glaubwürdiger CO2-Reduktionspfad fehlt, der die Reduktionsziele und die erforderlichen Maßnahmen quantitativ untersetzt.
Die angewandte BISKO-Methode zur Treibhausgasbilanzierung suggeriert wegen ihrer Beschränktheit auf Endenergie einen absurd niedrigen CO2-Fußabdruck pro Chemnitzer Einwohner von 5,8 t / a - in der Realität17 ist er 9 bis 10. Mit dem Greenhouse Gas Protocol gibt es eine vollständigere Bilanzierungsmethode11.
Leider wurde der neueste, 6. Bericht des Weltklimarates (AR 6 IPCC) NICHT berücksichtigt4, der eine erhöhte Dringlichkeit, Größe und Schärfe der zu ergreifenden Maßnahmen den Machthabern ins Stammbuch schreibt. Denn die Klimakrise verläuft viel schneller als bisher gedacht9, weshalb der Chemnitzer Klimaplan drastisch verschärft werden muss.
In einem Punkt enthält der Plan ein direkt ökozidales Maßnahmenpaket:
- Er rechnet die Holzverbrennungspläne der eins Energie mit 1 Holzkraftwerk und 1 Holzheizwerk grün und unterstützt diese. Ungeachtet der Ökozidalität industriell betriebener Holzverfeuerung6,7.
- Dabei gibt es an der TU Chemnitz eine Forschungsarbeit, die zeigt, dass klimaneutrale Energieversorgung der Stadt mit mehr Großwärmepumpen und ohne Holzkraft nicht teurer ist5,10. Mit den Großwärmepumpen wäre die bereitzustellende Fernwärme tatsächlich grün und nicht nur grün gerechnet wie bei Holz.
Trotz größter Bedeutung für ein dekarbonisiertes Energiesystem kommen Wärmepumpen - speziell Großwärmepumpen für Fernwärme - sowie thermische und elektrische Speicher kaum bzw. nicht im Klimaplan vor.
Demgegenüber enthält das Papier eine Übergewichtung der Wasserstofftechnologie. Leider reicht der bis 2035 verfügbare Wasserstoff nur für Thyssen-Krupp. Zur Dekarbonisierung benötigen die in Chemnitz nicht existenten Branchen Stahl, Chemie, Flug- und Schiffsverkehr so viel Wasserstoff, dass er, bzw. transportable Folgeprodukte wie e-Fuels, importiert werden müssen. Energieverluste ab Erzeugung sind enorm im Vergleich zur Direktnutzung erneuerbaren elektrischen Stroms. Wasserstoff - nur sinnvoll, wo Dekarbonisierung durch Elektrifizierung absehbar unmöglich ist.
Im Klimaplan ist die Rede von "realistischen, machbaren" Zielen - also Klimaneutralität 2040. Statt 2030, wie es fürs Pariser 1,5 Grad Ziel nötig wäre.
Der Klimakrise sind menschengemachte, politökonomische "Realitäten" egal. Sie wird immer brutaler, sofern wir nicht radikal umsteuern: Maßnahmen, die heute nicht ergriffen werden, verpuffen um so mehr, je weiter sie rausgeschoben werden4 - siehe AR 6.
"Realistisch" in der Klimapolitik heißt, Paris zu beerdigen. Heißt Verantwortungslosigkeit.
Verantwortungslos ist auch, dass der Klimaplan Soziales gegen Klima ausspielt: Wegen Sozialem nicht zu viel Klimaschutz.
Natürlich darf Klimaschutz niemals zu Lasten des Sozialen gehen! Das Muster "wenn das Geld knapp ist wird im Sozialen gekürzt" ist kein Naturgesetz, sondern menschengemachtes, von Besitzverhältnissen bestimmtes Ritual. Überwindbar mit dem Durchsetzen des Verfassungsgrundsatzes "Eigentum verpflichtet".
Die Autoren des neuen Chemnitzer Klimaplans erkennen durchweg an, dass er bezogen auf Paris völlig unzureichend ist. Das zieht sich wie ein roter Faden - gleich eines stummen Hilfeschreis der Wissenden - durch das Papier.
Wird der politische Überbau der Stadt den roten Faden verstehen? Wird er mit Verweis auf Rahmenbedingungen und angeblich nicht vorhandenen Handlungsspielraum im Weiterso verharren? Wird er wenigstens versuchen, all das, was notwendige Klimamaßnahmen verhindert, öffentlich zu machen?
Die Menschen dabei mitzunehmen dürfte nicht allzu kompliziert sein: Wenn wesentliche Multiplikatoren der politischen Klasse klar machten was uns droht, wenn wir weiter so langsam in der Klimapolitik agieren wie bisher.
Ökozidal ist alles, was dem Pariser 1,5 Grad Ziel nicht gerecht wird. Wir sind mit Vollgas auf ökozidalem Weg - weshalb beim Treibhausgasausstoß eine Vollbremsung einzulegen ist. In Chemnitz ist das nicht zu erkennen.
Vorschläge für Klimaplan und Klimapolitik
- Rückverweis des neuen Chemnitzer Klimaplans zur Überarbeitung
- 6. Weltklimabericht berücksichtigen, der eine erhebliche Steigerung des Ambitionslevels verlangt.
- Umfassende Treibhausgasbilanzierung nach Greenhouse Gas Protocol, damit bislang unsichtbarer Handlungsbedarf erkannt wird.
- Jährliche, quantifizierte Treibhausgas-Reduktionsziele festlegen und mit Maßnahmen unterlegen, die diese Reduktionen auch umsetzen.
- Großwärmepumpe statt Pyromanie: Holzverfeuerungspläne der eins Energie stoppen und Aufsetzen einer Energieplanung auf Basis der Forschungsarbeit "Klimaneutrale und teilautarke Energieversorgung der Stadt Chemnitz" an der hiesigen TU, bei der Holzkraft keine Rolle mehr spielt5, 10. Die Arbeit kann hier heruntergeladen werden: https://www.parentsforfuture.de/de/node/4368
- Klarstellung, ob das THG-Wirkpotential ab S. 64 ff. zusätzliche Treibhausgas-Emissionen sind, oder ob es sich um THG-Einsparpotential handelt. Ansonsten ist die Tabelle höchst missverständlich - Legende/Erklärungen helfen nicht weiter.
- Finanzvorbehalt für den Klimaplan streichen: Alle Maßnahmen müssen zwingend durchgeführt werden!
- Neben Treibhausgasreduktion durch weniger Emissionen und Ausbau natürlicher Treibhausgassenken sind solche Klima- und umweltschützenden Maßnahmen zu priorisieren, die den natürlichen Wasserhaushalt positiv beeinflussen, steuern wir doch weltweit bis 2030 auf eine Halbierung des Süßwasserdargebotes14 zu. Erschwerend: Es tritt langfristig eine Versteppung Mitteleuropas durch die Klimakrise ein. Lt. LfULG wird die Grundwasserneubildung in Sachsen in der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts zum Erliegen kommen!
- Insbesondere sind kommunenübergreifende Maßnahmen zu ergänzen und zu forcieren, die sächsische Trinkwasserreservoirs schützen, ausbauen und Raubbau daran beenden.
- Einsetzen eines zufällig gelosten Chemnitzer Bürgerrates, der gegenwärtige und künftige Maßnahmen des Klimaplans priorisiert, ändert/streicht und neue definiert.
- Nachdem die Sachkunde der Gelosten auf gleichem Niveau ist entstehen Entscheidungen bzw. Vorschläge im Konsens, bspw. mit systemischer Konsensierung16 statt Gezänk um Minimalkonsense und klassischen Mehrheitsentscheiden.
- Der Bürgerrat ist direkte Partizipation, und gibt gleichzeitig Ausblick auf Demokratieformen der Zukunft.
- Ehemalige Bürgerräte erleben in der Regel nicht nur einen enormen Kompetenzzuwachs auf ganz vielen Feldern, sondern sie bilden danach oft demokratieförderliche Netzwerke und engagieren sich. Insbesondere sind sie wertvolle Coaches für moderne Basisdemokratie, bspw. für künftig auszulosende Bürgerräte.
- Offene Kommunikation der Dilemmata, wo genau die Chemnitzer Klimapolitik ambitionierter sein könnte unter Benennung der verhindernden Randbedingungen, z.B. der Finanzfalle, in der kommunaler Klimaschutz steckt, Energiestrategie etc. Mit Dilemmata lässt sich produktiv und kooperativ umgehen15 statt sie wegzuschweigen, schönzureden, fatalistisch hinzunehmen oder im Kleingedruckten zu verstecken.
- Aufzeigen, dass kommunaler Klimaschutz eine Daueraufgabe ist - als kommunale Pflichtaufgabe von Bund und Ländern mit entsprechenden zusätzlichen Mittelzuweisungen für Kommunen schleunigst neu zu definieren und umzusetzen. Die benötigten Mittel sind nicht durch Streichungen im Bildungs- und Sozialbereich zu finanzieren. Statt dessen ist der Verfassungsgrundsatz "Eigentum verpflichtet" endlich umzusetzen: Für Einkommensmillionäre, Vermögens-Milliardäre und -Millionäre, sowie für entsprechend hohe Erbschaften.
Das Chemnitzer Klimabündnis ist gern bereit, die Stadt bei ihren Bemühungen zu unterstützen, diese neuartige kommunale Pflichtaufgabe einzufordern - bspw. in Form eines gemeinsamen Offenen Briefes der Stadt mit den Klimagruppen.
Nachsatz
Bemerkenswert ist, dass im Chemnitzer Klimaplan "Fridays for Future" gefühlt auf jeder 2. Seite erwähnt wird, gar ist von regelmäßigem Austausch mit der Bewegung die Rede. Dabei gab es lediglich 1 inoffizielles Treffen mit dem Umweltamt.
Die Klimabewegung zu erwähnen ist natürlich nett.
Wichtiger hätten wir gefunden, wenn nicht nur die lokale Wirtschaftslobby an der Ausarbeitung des Klimaplans beteiligt gewesen wäre:
In Chemnitz gibt es ein breites Spektrum sachkundiger, engagierter Menschen bei BUND, NABU, Greenpeace, Ariwa, ADFC, VCD, Foodsharing, den Future-Gruppen u.v.a.m., denen immerhin kleine Messestände am Tag nach der öffentlichkeitswirksamen Carlowitz-Preisverleihung zugedacht werden.
Quellen
1 Überarbeitetes neues Chemnitzer Klimaprogramm, B-075/2023, https://sessionnet.krz.de/chemnitz/bi/vo0050.asp?__kvonr=6977833
2 Ursprungsfassung des neuen Klimaprogramms, B-156/2022, https://sessionnet.krz.de/chemnitz/bi/vo0050.asp?__kvonr=6976473&vosele…
3 https://www.parentsforfuture.de/de/chemnitz-gibt-pariser-ziel-auf
4 https://www.ipcc.ch/assessment-report/ar6/
5 https://www.parentsforfuture.de/de/node/4368
6https://www.parentsforfuture.de/de/node/2956
7 https://www.parentsforfuture.de/de/node/2959
8 https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020…
9 https://www.umweltbundesamt.de/themen/ipcc-bericht-klimawandel-verlaeuf…
10 Eckhardt: Klimaneutrale und teilautarke Energieversorgung der Stadt Chemnitz. TU Chemnitz, 2023
11 https://ghgprotocol.org/ghg-protocol-cities
12 https://www.parentsforfuture.de/de/node/4292
13 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/klimawandel-milliarden-kosten-deut…
14 Knappe Halbierung des weltweiten Süßwasserdargebots auf S. 10 in https://watercommission.org/wp-content/uploads/2023/03/Turning-the-Tide…
15 https://www.schulz-von-thun.de/aktuell/kommunikation-im-dilemma-hilft-d…
17 https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/data/data-viewers/greenhouse-ga…