Klimaklartext und Mutmacher
Dr. Udo Engelhardt: Eine Welt, ein Klima, eine (letzte) Chance
erschienen im Parents-Newsletter #29 (November 2023)
Die eigenen Botschaften aus Perspektive der Wissenschaft rüberbringen, ein Publikum jenseits der Klimablase erreichen und ganz viel Mut und Energie erzeugen: Dr. Udo Engelhardt zu einem Vortrag einzuladen, birgt viele Chancen für die Klimabewegung. Einige Parents-Gruppen hatten den Forscher bereits in ihren Städten. Als wir von der großen Wirkung des Vortrags in Detmold hörten, stand für uns fest: Das versuchen wir auch. Am 12. Oktober kamen knapp 250 Besucher in Melle zum Klimavortrag.
Engelhardt erforschte als Meeresbiologe das Great Barrier Reef in Australien und die Auswirkungen der Korallenbleiche auf den Seychellen. Das Korallensterben in den überhitzten Meeren mitzuerleben war für ihn ein Schlüsselerlebnis. Seither erforscht er statt Unterwasserwelt die Erderhitzung und ihre Folgen. Er begleitet Kommunen auf ihrem Weg in die Klimaneutralität und er reist mit seinem Vortrag „Eine Welt, ein Klima, eine (letzte) Chance“ quer durchs Land. Er bringt Fakten der Klimawissenschaft verständlich auf den Punkt, wirbt eindringlich für Lösungen und macht Mut, dass wir gemeinsam viel bewegen können für eine Stabilisierung des Klimasystems. Großer Besucherandrang im Solarlux Campus (Foto: Melle for Future) Engelhardts Anspruch ist, die drei Teile des aktuellen IPCC-Berichtes komprimiert zusammenzufassen: naturwissenschaftliche Grundlagen, Folgen der Erderhitzung und Maßnahmen zur Minderung derselben, mit vielen wissenschaftlichen Darstellungen unterlegt, in der Sprache klar und verständlich.
Im ersten Teil des Vortrags verdeutlichte Engelhardt den aktuellen Zustand des globalen Klimas und erklärte die komplexen physikalischen Zusammenhänge von Eisschmelze, Waldbränden, Dürren und Überschwemmungen. Der Klimaforscher warnte, welche unaufhaltsamen Kettenreaktionen drohen, wenn wir die Freisetzung von Treibhausgasen nicht radikal runterfahren.
Unmissverständlich machte der Klimaforscher klar, wie schlimm es bereits steht. An die bisher ärgste Hitzewelle konnten sich viele im Publikum gar nicht mehr erinnern: Im Juli/August 2022 herrschten in China sechs Wochen lang 32 bis 53 Grad (32 Grad nachts). Und bei uns? Was war die bisher größte Abweichung? 16 Grad mehr als normal erlebten wir letztes Jahr Silvester. Es war einfach Zufall und riesiges Glück, dass gerade Winter war. Im Sommer hätten wir bei Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad geächzt, schon jetzt ist das in unseren Breitengraden möglich. „Der Klimazusammenbruch hat begonnen“, so warnte UN-Generalsekretär António Guterres in diesem Sommer.
Die nächste Eiszeit fällt aus
Was ist, wenn wir so weitermachen wie bisher? Viele hörten an dem Abend zum ersten Mal, dass wir theoretisch gerade auf eine Eiszeit zusteuern. Diese Eiszeit in ca. 60.000 Jahren fällt aus, das steht jetzt schon fest. Der Treibhausgaseffekt, den wir jetzt ankurbeln, verändert das Leben auf unserem Planeten für Zehntausende von Jahren!
Im Moment steuern wir auf eine Welt zu, die im globalen Mittel 3 Grad wärmer wäre als vor Beginn der Industrialisierung. Ja und? Gab es so etwas nicht schon öfters? 3 Grad mehr hatten wir tatsächlich schon mal, vor viereinhalb Millionen Jahren. Allerdings lebten damals nur kleinere Säugetiere, rattengroß, vielleicht noch katzengroß. Noch nie lebten Menschen auf einer Erde mit eisfreien Polen.
Wie konnte es so weit kommen?
Zweidrittel aller klimaschädlichen Treibhausgase, erläuterte Engelhardt, resultieren aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Die verheerenden Folgen dieser Verbrennung – als Treibstoff, zum Heizen und zur Stromerzeugung – sind seit mehr als 40 Jahren bekannt. Der Mineralölkonzern Exxon Mobile ließ damals die zerstörerische Wirkung seines Tuns akribisch erforschen. Um dann sein Wissen geheimzuhalten, zu ignorieren und mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Rekordgewinne einzufahren.
Die Macht der Öl- und Gaskonzerne setzt sich fort, die Energiekrise beschert ihnen Milliardengewinne. Zur Weltklimakonferenz sind jedes Jahr mehr Lobbyisten der Fossilindustrie eingeladen. Ein Durchbruch ist auf diesem Weg leider nicht mehr zu erwarten, resümierte Engelhardt desillusioniert.
Seine Hoffnung setzt er hingegen darauf, dass wir gemeinsam das Versagen von Politik und Gesellschaft beenden können. „Der Wandel, der soziale Kipppunkt, den wir brauchen, muss von unten, von uns kommen. Indem wir nicht mehr mitspielen. Indem wir rigoros alles, was fossil ist, endlich rausschmeißen und beerdigen.“
Es ist alles da
Den zweiten Teil des Vortrages widmete Engelhardt den Lösungen. Wenn Zweidrittel der Treibhausgase aus der Nutzung fossiler Energien stammen, muss der Fokus auf der Energiewende liegen. Die Technologien und Methoden sind da: Windkraft- und Solaranlagen, Wärmepumpen für das eigene Heim, aber auch groß dimensioniert für hunderte von Haushalten etc.
Es ist alles da, so Engelhardt, auch das Geld. So könnten durch Maßnahmen wie Besteuerung von Kerosin und Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wie der Dienstwagenförderung viele Milliarden Euro für den Klimaschutz bereitgestellt werden. Während China und die USA bereits milliardenschwere Subventions- und Investitionspakete angestoßen haben, fehlt hierzulande eine konsequente Transformation.
Gegen die lähmende Macht der Energiekonzerne müsse sich eine breite Bürgerbewegung stellen. Engelhardt motivierte für eine bürgernahe Energiewende – das Geld für Energieerzeugung und -verkauf bleibt dabei in der Region; also nicht bei Großinvestoren, sondern bei hiesigen Unternehmen und bei den Bürger*innen, die sich in Bürgerenergiegenossenschaften zusammenschließen können. Dafür warben an dem Abend zwei Bürgerstromakteure der Region.
Klimaschutz brauche die Überwindung von Individualismus und gemeinschaftliche Verantwortung: Deshalb lud Dr. Udo Engelhardt das Publikum dazu ein, Vereinen wie dem Melle for Future e. V. beizutreten. Unser kleiner Verein, den wir in diesem Jahr gegründet haben, hat seine Mitgliederzahl seitdem fast verdoppelt. Aus dem Schwung der Veranstaltung scheinen sich für uns mindestens zwei Ziele herauszukristallisieren:
- als Meller Klimaschutzverein zu wachsen und eine breite Bürgerbewegung für krisenangemessene Klimapolitik zu werden
- Initiator für eine Energiewende von unten zu werden, z. B. dafür zu begeistern, landwirtschaftliche Flächen für erneuerbare Energien in Bürgerhand bereitzustellen.
Engelhardt betonte Gemeinschaftssinn und die Bedeutung unerwarteter Allianzen. Die Vorbereitung der Veranstaltung war gut dazu geeignet, diese bereits im Vorfeld zu schmieden: So können aus Sponsoren Partner werden, die in ihrem eigenen (Wirtschafts-)Umfeld für die Veranstaltung werben. Auch das verstärkte den Effekt, dass wir ein bunt gemischtes Publikum ansprachen und Politiker*innen verschiedener Fraktionen auf Kommunal- und Kreisebene dabei waren und danach bezeugten, dass sie Anregungen für ihre politische Arbeit mitnehmen. Die Wirkung des Vortrags lässt sich übrigens gut multiplizieren, wenn im Nachhinein der Videomitschnitt des fast identischen Vortrags aus Beckum im September verbreitet wird:
Fazit: Die Veranstaltung hat für Parents-Gruppen das Potenzial, ein breites Publikum zu mobilisieren und den eigenen Mitgliedern Energie und strategische Klarheit zu bringen. In Detmold ist es gelungen, den Vortrag als Initialzündung für den städtischen Prozess zur Klimaneutralität 2030 zu nutzen, unter dem Motto „Emissionen runter, Versorgungssicherheit und regionale Wertschöpfung rauf!“, begleitet von ansvar, Organisation für ganzheitliche Klimaschutz-Beratung, bei der Engelhardt als Ansprechpartner für die Klimawissenschaft fungiert.