Zum Ausverkauf der Chemnitzer Demokratie
Kulturhauptstadt Chemnitz, 1.12.2024
Eine Stellungnahme der Parents for Future Chemnitz und Umgebung zu den geplanten Mittelstreichungen bei den Chemnitzer Häusern der Demokratie - dem Kunst- und Kultur Karee Kaßberg, kurz KKK. Gleichzeitig ist dieser Blog ein kurzes Schlaglicht auf Teilaspekte der Chemnitzer Demokratie- und Umweltbewegung, beginnend noch vor dem Ende der DDR. Zum Kulturhauptstadtjahr bieten wir die Organisation von Führungen für das zum KKK gehörende und von der Schließung bedrohte Umweltzentrum an.
Update 9.12.2024: Die Stellungnahme wurde an Stadtratsfraktionen, den OB und Presseorgane versandt.
Worum geht es?
Im Haushaltsentwurf 2025/2026 der Stadt Chemnitz sind Mittelkürzungen für die "Häuser der Demokratie" - das Kunst- und Kulturkaree Kaßberg, kurz KKK - vorgesehen. KKK, das sind
- die "Erinnerungsstätten der Friedlichen Revolution und der politischen
Wende“, so der Stadtrat 2014 in einem Beschlusstext:- das Umweltzentrum (UWZ), Henriettenstr. 5
- die LILA Villa, Kaßbergstr. 22
- sowie
- das Kulturhaus Arthur, Hohe Straße 33, und
- die Neue Sächsische Galerie, heute im Tietz, nach der Wende im Gebäude des heutigen Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasiums, Hohe Straße 25/35
Im Chemnitzer Umweltzentrum1,2 arbeiten 2,5 städtische Mitarbeiterinnen mietfrei, u.a. an Umwelt- und Bildungsthemen, die Stadt zahlt lediglich 12.000 € Nebenkostenzuschuss jährlich. Der Betrag soll nun gestrichen werden - in Bezug auf den Stadthaushalt sind das Pfennige. Der Krämerer spart also nichts ein. Der Nebenkostenzuschuss soll wegfallen, weil die 2,5 Mitarbeiter aus dem UWZ in andere Gebäude umziehen müssen, und 1 städtische UWZ-Stelle abgebaut wird. Der Zusammenbruch von Projekten wird dabei in Kauf genommen.
Solche scheinbar kleinen Kürzungsbeträge und Personaländerungen können aber Todesstoß für die Häuser der Demokratie und ihrer unersetzlichen Projekte sein.
Zwischen Stadt und UWZ-Verein gibt es einen Erbpachtvertrag. Der in höchster Gefahr ist, wenn der Verein den Gebäudeunterhalt nicht mehr stemmen könnte. Die geplante Streichung des Nebenkostenzuschusses leitet also das finanzielle Aus des Chemnitzer Umweltzentrums ein.
Warum sprechen wir vom Ausverkauf der Demokratie?
Kurz gesagt: Weil zum Einsparen unbedeutender Beträge im Stadthaushalt bedeutende Institutionen der Chemnitzer Demokratie - hier das Umweltzentrum - geopfert werden sollen. Und das in einer Zeit, wo Demokratie zu stärken ist, statt sie ihren Feinden zu überlassen.
Warum ist das Umweltzentrum in seiner heutigen Gesamtheit so erhaltenswert?
Teile des KKK-Ensembles wie das UWZ und das heutige Gymnasialgebäude waren in der DDR Dienstsitz und Zentrale der Staatssicherheit "Stasi". Nicht zuletzt hatten Umweltaktivisten der DDR unter den Verfolgungen des Regimes zu leiden, etwa durch willkürliche Festnahmen und Verhöre mit Scheinhinrichtungen.
Am 14.2.1990 wurde vom Karl-Marx-Städter Runden Tisch beschlossen, den alten Stasi-Dienstsitz Henriettenstr. 5 als "Umweltzentrum" an Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsinitiativen übergeben. 6 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden dort beschäftigt.
Zur Erinnerung: In der zusammenbrechenden DDR wurden nach dem Sturz von Staatschef Honecker und unter dem Eindruck der zunehmenden Proteste "Runde Tische" ins Leben gerufen: In Kommunen bis hinauf auf Regierungsebene. Dort saßen sich einerseits Akteure der bis dahin illegalen Oppositionsbewegung wie dem Neuen Forum, der Kirchen, und andererseits verantwortliche DDR-Funktionäre gegenüber, um zu beraten, "wie es weiter geht". So auch in Karl-Marx-Stadt, das am 1.6.1990 in Chemnitz rückbenannt wurde.
Zurück zum Chemnitzer Umweltzentrum und seinem Kernbestandteil - die Umweltbibliothek.
Angelegt zu DDR-Zeiten unter dem Dach der Karl-Marx-Städter Trinitatiskirche ist die Sammlung heute eine zeithistorische Brücke von den damaligen Umweltthemen bis in die heutige Zeit. Bspw. war der Chemnitz-Fluß hoch verseucht und ohne Leben. Dazu muss man wissen, dass die in der DDR verfolgten Umweltgruppen und auch "kritische" Dokumente und Bücher nur in Kirchen einen gewissen Schutzraum hatten, was Pfarrern und Kirchenmitarbeiterinnen ähnliche Verfolgung "bescherte" wie den damaligen Umweltaktivisten. Umweltthemen wie der tote Chemnitz-Fluß konnten nur unter dem Kirchendach erörtert und dokumentiert werden. Immer unter der Gefahr, dass in Kirchen- und Umweltgruppen auch Stasispitzel waren, die dem DDR-Verfolgungsapparat Aussagen der Aktivisten heimlich zutrugen.
Allein die im ehemaligen Stasi-Dienstsitz befindliche Umweltbibliothek ist also ein gewaltiges Symbol des Sieges der Freiheit über die Diktatur!
Eine Dauer-Ausstellung vom DDR-Umweltaktivismus bis in die Zeit nach der "Wende" macht den Sieg der Freiheit, wie auch die DDR- und Nachwendezeit greifbar.
Haus, Bibliothek und Ausstellung sind ein untrennbares Ensemble der Demokratie.
Heute ist das Chemnitzer Umweltzentrum mit Büroräumen, Küche und 2 Veranstaltungsräumen nicht nur für eine Vielzahl von Projekten und Initiativen eine moderne und im Erdgeschoss barrierefrei umgebaute Heimat mit der Außenanlage als Biotop.
Es ist zugleich Plattform für interdisziplinäre Aktion, Vernetzung und Bildung: Bspw. der "Agenda 21", dem seit 1992 existierenden Aktionsprogramm der UN für nachhaltige Entwicklung; dem "BNE", das UNESCO-Bildungsprogramm für nachhaltige Entwicklung; der Städtepartnerschaft mit Timbuktu in Mali.
Mit der geplanten Schließung der Umweltbibliothek im UWZ und ihrer Verlagerung nach anderswo, sowie dem Zusammenbruch wichtiger Projekte durch Abbau und Umzug der 2,5 städtischen Mitarbeiter wird dem Haus die DNA entrissen, nur um Pfennige zu sparen.
Zusammenfassung
Das Umweltzentrum macht den Übergang von der DDR-Diktatur zur Demokratie erlebbar. Die dort moderierten Projekte mit regionaler bis internationaler Reichweite und die Förderung von Demokratie- und Umweltinitiativen leisten einen wichtigen Beitrag zur örtlichen und bürgerschaftlichen Umsetzung des Artikels 20a des Grundgesetzes, der Nachhaltigkeit als Staatsziel festschreibt.
Der Staat - das sind alle Bürger, nicht nur die "Obrigkeit". Weshalb es stabile Strukturen und Kontinuität einschließlich persönlicher Begegnung braucht, damit Bürger und ehrenamtliche Initiativen gesicherte Möglichkeiten vorfinden, sich für Nachhaltigkeit und Demokratie einzusetzen.
Unpersönliche, digitale Formate sind kein tragfähiger Ersatz für reale Begegnung in realen Räumen von Bildung, Beratung und Demokratie.
Gerade die Stadtverwaltung sollte in Zeiten des Demokratieverdrusses und der Spaltung ihre Verantwortung für die Chemnitzer "Häuser der Demokratie" wahrnehmen.
Speziell die geplante Kürzung von 12.000 € und das personell-örtliche Umstrukturierungsvorhaben gegen das Umweltzentrum sind nicht hinnehmbar, denn in Summe ist das der Todesstoß für ein wichtiges Ensemble des Sieges der Freiheit über die Diktatur.
Angebot für das Kulturhauptstadtjahr 2025
Wer das Umweltzentrum vor seinem Ausverkauf noch besichtigen will, dem bieten die Parents for Future Chemnitz an, eine kostenlose Führung durch das Haus, seine Geschichte, die Bibliothek und die Ausstellung zu organisieren.
Quellen
1 https://www.umweltzentrum-chemnitz.de/
2 https://chemnitz.de/chemnitz/de/unsere-stadt/umwelt/umweltzentrum/index.html