Nachlese Klimastreik 25.3.22

P4F Chemnitz
P4F Chemnitz • 3 April 2022
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Nachlese Klimastreik am 25.3.22 in Chemnitz

Erstellt am 3.4.2022. Update 12.4. mit Redeauszug vorm Büro B90/Grüne. Update Ostern 2022: Bezug und Referenz auf Youtube-Videos ergänzt.

Chemnitz, 25.3.2022

Endlich wieder raus auf die Straße, nachdem Sachsen die unsinnige Beschränkung von Versammlungen auf 10 Personen aufgehoben hatte.

Motto war unter anderem #ReichtHaltNicht in Anspielung auf die ungenügende Politik der Ampel betreffs Schutz der Lebensgrundlagen, speziell Klimaschutz.

Deshalb ging die Demoroute entlang der Parteibüros FDP -> SPD -> Grüne.

Demoroute Klimastreik 25.3.22 in Chemnitz    Demozug auf dem Weg zwischen SPD- und Grünenbüro

Plakat "Wald statt Bratwurs"

Der Chemnitzer OB wird durch die SPD gestellt, weshalb wir als Parents for Future vor dem SPD-Büro folgende Rede zur Chemnitzer Klimalokalpolitik hielten.

Rede vorm SPD-Haus: "Vorfahrt fürs Klima!"

Hallo liebe Klimabewegte in Chemnitz!

Schön, dass ihr zum Klimastreik unserer Fridays For Future Chemnitz gekommen seid
Ich will darüber sprechen, was unsere Stadt Chemnitz tut - besser gesagt, nicht tut, um unseren Anteil an der Bewältigung der Klimakrise beizutragen.

Paar Fakten zur Klimakrise:

  • CO2 Emissionen steigen weltweit ungebremst. 2021 neuer Rekord. Es geht weiter so wie bisher. [1]
  • Weltklimarat IPCC berichtet dazu sinngemäß: "Weiter so heißt weltweite Durchschnitts-Temperaturerhöhung um +5,5 Grad im Jahr 2100. Riesige Teile der Welt unbewohnbar. Heutige unbewohnbare Wüsten dehnen sich um die halbe Erde aus." [2]
  • Pariser Klimaabkommen will max. +1,5 Grad [3], damit Unbewohnbarkeit nicht ganz so krass wird. Im Jahr 2021 haben wir bereits 1,2 Grad Temperaturerhöhung erreicht.[1]
  • UN Generalsekretär Antonio Guterres sagt sinngemäß: "Es ist ein Verbrechen unserer politischen Anführer, wenn nicht sofort gegengesteuert und weiter zugewartet wird." [4]
  • Was wir hören von jungen Menschen: Sie wollen ihren Nachkommen die Konsequenzen dieses Verbrechens ersparen und möchten deshalb keine Kinder. Das tut besonders uns Parents so weh - aber wir verstehen das!

Was passiert in Chemnitz?

  • Der neuste Chemnitzer Klimaschutzbericht des Umweltamtes sagt, die Maßnahmen reichen nicht aus, dass Chemnitz seinen Teil für 1,5 Grad erbringt.[5]
  • Chemnitz müsste für 1,5 Grad bis 2035 klimaneutral werden, den CO2-Ausstoß um 8% jährlich senken.[3]
  • Davon sind wir in Chemnitz meilenweit entfernt. Das massive Gegensteuern, das der UN Generalsekretär fordert, findet also nicht statt.
  • Was macht die Stadt Chemnitz? Richtet Stabsstelle beim Oberbürgermeister für Wirtschaft ein. Macht Wirtschaft zur Chefsache.[6]
  • Keine Stabsstelle, keine Chefsache Klima und Ökologie. Keine Anzeichen, dass der Stadt Chemnitz massives Gegensteuern wichtiger als Wirtschaft wäre.
  • 12 zusätzliche Mitarbeiter in der Verwaltung für Wirtschaft. [6] Aber keine zusätzlichen Mitarbeiter im Stadtforst, der über die Jahre von 12 auf 3 Mitarbeiter gekürzt wurde.
  • Kein Gegensteuern. Kein Umdenken seitens der Stadt, einfach weiter so wie bisher. So wie immer: Wirtschaft zuerst, dann kommt alles andere.

Hr. Bürgermeister, ändern Sie Ihre Prioritäten!
Auf einem unbewohnbaren Planeten ist es aus mit Wirtschaft!
Machen Sie aus der neuen Stabsstelle Wirtschaft eine Stabsstelle für Klima und Lebensgrundlagen!
Oder siedeln sie diese Themen zusätzlich in der Stabsstelle an nach dem Prinzip:
Vorfahrt fürs Klima!

Rede vor Grünen Geschäftsstelle: "Sächsische Austrocknung"

Auch vorm  Büro Bündnis 90 / Die Grünen hielten wir am Offenen Mikrofon noch eine Rede zu unzähligen Klima- und Umweltfakten in Sachsen. Der dramatischste Punkt:

Spätestens in ca. 80 Jahren bildet sich in Sachsen kein neues Grundwasser mehr. Die Abflussmenge ist dann null, d.h. die Flüsse werden vertrocknet sein. [9]

Dieser sächsische Austrocknungsprozess ist schleichend und erst dann "richtig" wahrnehmbar, z.B. in Form chronischer Wasserknappheit und permanenter Wasserrationierung, wenn es zu spät ist.

Es ist also abzusehen, dass unser aus Talsperren gewonnenes Trinkwasser in spätestens 80 Jahren versiegt sein wird, denn Talsperren stauen das Wasser ihrer Zuflüsse, die schleichend, aber komplett austrocknen werden.

Verschärft wird die sächsische Austrocknung  durch den Raubbau am Grundwasser durch Braunkohletagebaue und die Kühlung der Braunkohlekraftwerke aus Flüssen, in die bei "Niedrigwasser" bzw. unzureichenden natürlichen Durchflussmengen das Wasser aus Trinkwassertalsperren eingeleitet werden muss, um die Kraftwerkskühlung aufrecht zu erhalten.

Verantwortlich für die verlorenen Jahre 2010 bis 2020, in denen Sonnen- und Windverstromung behindert und Braunkohleverstromung weiter subventioniert wurde sind Sachsens CDU und SPD.

 

Sonstiges

Ferner berichtete eine Chemnitzer Zeitung, auf der Demonstration soll vor dem SPD-Haus die Parole "Wer hat uns verraten - die Sozialdemokraten" gerufen worden sein. Parents, die auf der Demo zugegen waren, können das zwar nicht bestätigen, aber auf einer lauten Demo bekommt man natürlich auch nicht alles mit. Was ist davon zu halten?

Die Parole "Die SPD hat uns verraten" wurde 1918 von Karl Liebknecht geprägt, der wegen seiner Kritik an der "Burgfriedenspolitik" 1916 aus der SPD-Reichtagsfraktion  ausgeschlossen, und am 15.1.1919 ermordet wurde. Zuvor war er von der SPD-Zeitung "Vorwärts" als geisteskrank bezeichnet worden, während in den Straßen Berlins pogromartige Aufrufe zu seiner Ermordung prangten, die von der rechtsextremen "Antibolschewistischen Liga" stammten. Diese verübte Auftragsmorde und wurde von der deutschen Großindustrie gesponsort.[7] [8]

Die "Verraten"-Parole gegen die deutsche Sozialdemokratie wurde in der sozialkritischen, künstlerischen Auseinandersetzung mit Politik aufgegriffen, z.B. durch Marc-Uwe Kling. Hierbei ging es vor allem um Auswirkungen der neoliberalen "Agenda 2010" der rot-grünen Koalition, unter denen der verarmte Teil der Bevölkerung bis heute leidet.[10] [11]

Wenn Fridays for Future diese Parole nutzen spielen sie hauptsächlich auf die klimapolitische Untätigkeit und Verhinderungspolitik der inzwischen abgewählten Großen Koalition aus CDU und SPD an. Die verlorenen Jahre als "Verrat."

Die Parents for Future, die eine von Fridays for Future unabhängige Gruppe sind, würden diese Parole selbstverständlich nicht gebrauchen, auch wenn wir die jugendliche Wut über die desaströse Klimapolitik der Vergangenheit verstehen, und diese Wut auch selber empfinden.

Ebenso verstehen wir die SPD, die sich durch diese Parole zutiefst gekränkt fühlt, und die sagt, "wir haben doch die gleichen Ziele wie ihr!"

Die SPD war immer in einer Sandwichposition zwischen revolutionären Linken, Konservativismus und Reaktionären. Bismarck ließ sie durch Sozialistengesetze verfolgen. Später wurden sie durch die Hitlerfaschisten bzw. "Nationalsozialisten" noch brutaler verfolgt und umgebracht. Die SPD lehnte 1933 als einzige Partei das Ermächtigungsgesetz ab! Welch persönlicher Mut der SPD-Abgeordneten am 23.3.1933! Die Abgeordneten der KPD konnten nicht ablehnen, waren sie doch bereits alle verhaftet oder auf der Flucht! Die "bürgerlichen" haben dagegen alle für das Ermächtigungsgesetz gestimmt! Die Hitlerfaschisten hatten ihren politischen Gegnern meist  "Verrat" oder "Volksverrat" vorgeworfen, um sie deswegen zu verhaften und umzubringen. Auch die heutigen Neonazis gebrauchen laufend das Wort "Volksverräter", um damit wie ihre geistigen Vorfahren eine Pogromstimmung gegen politisch Andersdenkende vorzubereiten.

Aus der Zusammenschau dieser Dinge sagen wir als Parents for Future Chemnitz, dass die Verraten-Parole wie auch das Wort "Verrat" ganz generell nichts in der politischen Auseinandersetzung zu suchen hat.


Quellen

[1] https://www.handelsblatt.com/politik/international/klimakrise-rekord-werte-bei-treibhausgasen-in-der-atmosphaere-2021-us-ausstoss-um-6-2-prozent-gestiegen/27962330.html

[2] https://www.ipcc.ch/assessment-report/ar6/ . Folgendes Bild zeigt in schwarz die potentiell unbewohnbaren Gebiete beim Weiterso in 2100, in denen an 100 bis 365 Tagen im Jahr 35°C und mehr herrschen
Unbewohnbare Teile der Erde, wenn die Menschheit weiter so wirtschaftet

[3] https://parentsforfuture.de/de/node/3029

[4] https://unric.org/de/ipcc280202022/

[5] https://www.chemnitz.de/chemnitz/media/unsere-stadt/umwelt/klimaschutzbericht_2019.pdf

[6] https://session-bi.stadt-chemnitz.de/vo0050.php?__kvonr=6976295&voselect=106630

[7] https://www.spiegel.de/politik/november-1918-kartoffeln-keine-revolution-a-8f80088f-0002-0001-0000-000045935123

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht

[9] Persönliche Gespräche mit sächsischen Hydrologen

[10] https://youtu.be/giRgf-A1xa4 

[11] https://youtu.be/0RX_D3fHM7E