Über das schwierige Verhältnis von Schulpflicht und Grundrechten

Über das schwierige Verhältnis von Grundrechten und Schulpflicht

Verlangt die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an den Fridays-for-Future-Demonstrationen eine neue Debatte über Grundrechte?

Kollidieren Grundrechte miteinander, nämlich

das Grundrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder (Art 6) – das staatliche Bildungsrecht (Art 7) – das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (Art 8 und 5) - das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 2)  und das  Grundrecht auf Schutz der

Lebensgrundlagen (Art 20 a)?

I.

Das Verhältnis der Schulpflicht zu anderen Grundrechten ist schwierig

Vorweg: Jedes Kind hat Grundrechte wie jeder Mensch, also auch ein Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Dürfen aber Schülerinnen und Schüler an den Fridays-for-Future-Demonstrationen auch dann teilnehmen, wenn sie dadurch dem Unterricht fernbleiben?

Grundsätzlich besteht Schulpflicht nach Maßgabe der Landesschulgesetze. In diesen wird der Bildungsauftrag konkretisiert. So sollen Schülerinnen und Schüler nach § 2 Niedersächsisches Schulgesetz (NdsSchG) u.a. fähig werden,

  • „die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende  staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen….“

-„ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen“,

.“für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewußt zu leben….“

Wenn Schulkinder dem Unterricht unentschuldigt fernbleiben, können Ordnungsmaßnahmen nach § 61 NdsSchG verhängt werden, es sei denn, es wurde eine Befreiung vom Besuch der Schule erteilt. Das geschieht nur

in besonders begründeten Ausnahmefällen und nur bei rechtzeitigem schriftlichen Antrag der Erziehungsberechtigten“,

so die ergänzende Bestimmung zu § 63 NdsSchG. Wann ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt, ist eine Frage der Auslegung.

Diese Erkenntnis hatte die Kultusministerkonferenz, als sie bereits in ihrem Beschluss vom 25.5.1973 betonte, Schule sei eine Einrichtung, die

„auf Grund der pädagogischen, fachlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in einem steten Wandlungs- und Anpassungsprozess begriffen ist“.

Entsprechend dem damaligen „Zeitgeist“, der mehr Gewicht legte auf Pflichterfüllung und weniger auf eine emanzipatorische Erziehung, wurde im Beschluss die „Order“ ausgegeben,

Ausnahmen von der Pflicht der Schüler zur Teilnahme am Unterricht auf die Fälle zu beschränken, die sich aus der Erkrankung von Schülern ……  ergeben.“

Kann dies heute so noch gelten? Schon im Jahr 1968 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, Kindern stehe ein Recht auf Menschenwürde und freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne von Art. 1 GG zu.

Die Vorstellung darüber, was Kind sein heißt, hat sich gewandelt, es hat sich ein Verständnis von Erziehung entwickelt, das Kindern neben dem notwendigen Schutz zunehmend auch Beteiligungsrechte zubilligt. Und damit sind wir bei den Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die auch Kinder ausüben dürfen. Nimmt man den Bildungsauftrag nach dem NdsSchG ernst, könnten, ja sollten die Schülerinnen und Schüler hierin sogar unterstützt werden.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat am 24. Januar 1991 entschieden:

-“Der Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration für den Frieden anlässlich des Golfkrieges gefährdet nicht ernstlich den Bildungsauftrag der Schule und rechtfertigt daher nicht ein Vertriebsverbot für das ihn enthaltende Flugblatt.“

Zwischen der Kollision des Grundrechts aus Art 8 –Versammlungsfreiheit- mit Art 7  -Pflicht zum Schulbesuch-  habe, so das Verwaltungsgericht, eine Abwägung stattzufinden. Dabei  spiele es eine Rolle, wenn bei der Entscheidung über eine Unterrichtsbefreiung nur wenig Unterricht – es waren zwei Stunden- ausfalle. Der Schüler gewann die Klage.

Am 19.3.2003 erging dann ein Runderlass des niedersächsischen Kultusministeriums(KM), wonach der Grundsatz gilt, dass die Teilnahme an Demonstrationen nicht das Fernbleiben vom Unterricht rechtfertigt,

solange das Anliegen auch außerhalb der Unterrichtszeit verfolgt werden kann.“

Entscheidungen über Beurlaubungsanträge hat die Schulleitung zu treffen

-„unter Abwägung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit einerseits und des staatlichen Erziehungsauftrages andererseits.“

Dabei hat

eine Abwägung der Rechtsgüter im Einzelfall“

zu erfolgen. Eine Beurlaubung sei eher zu gewähren, wenn durch

„die Teilnahme an der Demonstration nur verhältnismäßig wenig Unterricht“

ausfällt und :

-“Derartige Beurlaubungen sollen grundsätzlich nicht vor Ende der 5. Unterrichtsstunde ausgesprochen werden.“

Damit ist die Abwägung der Grundrechte lediglich ein Lippenbekenntis. In Wirklichkeit wird der Schulpflicht der Vorrang eingeräumt. Das bindet jede einzelne Schule bei ihrer Ermessenentscheidung. Die gebotene Abwägung der konkurrierenden Grundrechte findet nicht genügend Beachtung.

Das Hamburger Verwaltungsgericht entschied dann am 4.4.2012:

Fehlt ein Schüler wegen Teilnahme an einer Demonstration, so ist dies nur entschuldigt, wenn ein wichtiger Grund vorgelegen hat. Bei Auslegung dieses sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffs „wichtiger Grund“, müsse eine Abwägung vorgenommen werden zwischen der Schulpflicht gemäß Artikel 7 GG und dem Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art 8 GG.

Zu berücksichtigen sei folgendes:

„In der Praxis wird im Regelfall der Schulpflicht der Vorrang gebühren, wenn sich das mit der Demonstration geförderte Anliegen ebenso nachhaltig außerhalb der Unterrichtszeit verfolgen lässt. Ein Vorrang der Versammlungsfreiheit hingegen kommt in Betracht, wenn es sich bei der Demonstration um eine Spontanversammlung handelt, die unaufschiebbar ist, weil sich das mit ihr verfolgte Anliegen nur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Entstehung fördern lässt.

Die elterliche Gestattung  einer Teilnahme an einer Demonstration entbindet den Schüler nicht von der Erfüllung der Schulpflicht.“

Eltern dürfen nicht allein bestimmen, ob ihre Kinder die Schule besuchen oder nicht. Der Staat hat mit guten Gründen eine allgemeine Schulpflicht eingeführt und insoweit das Erziehungsrecht der Eltern eingeschränkt.

Dem Bundesgesetzgeber war die Einhaltung der Schulpflicht so wichtig, dass er dem Familiengericht in § 1666 BGB die Möglichkeit gab, bei einem Verstoß entprechende Gebote gegenüber Eltern und Kindern anzuordnen.

 Alle Kinder sollen gleiche Bildungschancen haben, so dass der Antrag der Eltern auf Unterrichtsbefreiung allein nicht genügt, das Fernbleiben vom Unterricht zu entschuldigen.

Der „wichtige Grund“  Spontanversammlung liegt nicht vor, weil die Fridays-for-Future-Demonstrationen  geplant und bewusst am Freitag innerhalb der Unterrichtszeit stattfinden, zudem auch nicht auf wenige Stunden beschränkt sind.

II.

Ist der Bildungsauftrag der Schule also gefährdet und gebührt der Schulpflicht der Vorrang?

Für diese Entscheidung ist § 2 NdsSchG zu beachten. Danach sollen Schülerinnen und Schüler in Kenntnis der Werte, die dem Grundgesetz und der niedersächsischen Verfassung zugrunde liegen an der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft mitwirken, sie sollen Verantwortung für den Erhalt der Umwelt tragen und sich umfassend informieren sowie ihre Kenntnisse kritisch nutzen.

Dieser umfassende Bildungsauftrag wird auch vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus Mai 2006 (BVerfG, FamRZ 2006, S.1094 ff) hervorgehoben. Damals ging es um etwas ganz anderes. Eltern hatten ihre Töchter von der Schule abgemeldet, weil sie meinten, die Schulpflicht verletze die Glaubensfreiheit ihrer Kinder. In dieser Entscheidung heißt es:

Die allgemeine Schulpflicht dient als geeignetes und erforderliches   Instrument dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrages. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet  sich auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den  demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenzen im Umgang auch mit Andersdenkenden, erlebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit  abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind“.(a.a.O. S. 1095)

Der Bildungsauftrag der Schule ist danach umfassend. Und so wird er auch von Schülerinnen und Schülern verstanden und gelebt, wenn sie an den Fridays-for-Future Demonstrationen teilnehmen:

Im Klimaabkommen von Paris aus dem Jahr 2015 einigten sich 195 Staaten auf die bekannten Ziele, u. a. auf die Begrenzung der globalen Temperatur auf möglichst unter zwei Grad. Außerdem verpflichteten sich die Staaten auf Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Bundesregierung verstößt gegen das Abkommen, die vereinbarten Klimaziele werden nicht eingehalten. Dabei bestreitet niemand, der sachkundig ist,  die ökologische Dramatik wie Abschmelzen der Pole, Übersäuerung der Meere, Anstieg des Meeresspiegels und massives Artensterben.

In dieser Lage nehmen  Schülerinnen und Schüler einen Verstoß gegen die Einhaltung der Schulpflicht in Kauf, um Politikern und der Gesellschaft die klimapolitischen Versäumnisse vor Augen zu führen. Mit ihren Demonstrationen wollen sie erreichen, dass die Abmachungen zum Klimaschutz eingehalten werden. Dabei stellen sie Bildung und Schulpflicht gar nicht grundsätzlich in Frage, vielmehr wird der Regelverstoß gezielt eingesetzt, um auf den ökologischen Kollaps aufmerksam zu machen. Sie kämpfen um den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen. Deswegen finden die Fridays-for-Future-Demonstrationen auch in der Unterrichtszeit statt.

Und bei diesem existentiellen Anliegen haben weder die Kultusminister noch die Schulbehörden der Länder es bisher verstanden, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und sein Verständnis von Bildung bzw. Heranbildung eines verantwortlichen Staatsbürgers in die Unterrichtspläne umzusetzen. Schülerinnen und Schüler aber auch Lehrerinnen und Lehrer werden mit den Problemen allein gelassen.

Das Ergebnis der Güterabwägung, die die Schülerinnen und Schüler  vornehmen indem sie demonstrieren, wird bestätigt durch Art 20 a unseres Grundgesetztes,   den übrigens auch die Schulbehörden zu beachten haben. In ihm heißt es:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen  Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Schülerinnen und Schüler können aus dieser Norm nicht als Einzelperson Umweltansprüche einklagen, auch Verbandsklagen sind nicht vorgesehen. Das gilt selbst dann, wenn das ökologische Existenzminimum gefährdet ist oder einzelne Tiere vom Aussterben bedroht sind. Die Pflichten aus dieser Vorschrift richten sich allein gegen den Staat. Er muss entsprechende Gesetze erlassen und geeignete Maßnahmen ergreifen.

Tut er dies nicht, bleibt dem einzelnen Bürger das Recht zu demonstrieren, um den Schutz einzufordern. Je drängender die Probleme sind und je weniger sich Umweltzerstörungen noch umkehren lassen, wenn nicht sofort gehandelt wird, desto eher darf demonstriert werden. So zumindest verstehen Schülerinnen und Schüler diesen Artikel des Grundgesetzes, und deswegen wiederholen sie ihren Protest.

III.

Bei der Entscheidung, ob ein wichtiger Grund für die Unterrichtsbefreiung zu bejahen ist, müssen Schulbehörden bei widerstreitenden Verfassungsrechten

–Schulpflicht und Staatsziel Umweltschutz, Demonstrations- und Meinungsfreiheit -  

abwägen, welches Recht im konkreten Fall höherrangig ist. Einen Vorrang der Schulpflicht per se anzunehmen, verstößt gegen das Gebot der Güterabwägung in einem solchen Zielkonflikt.

Die protestierenden Schülerinnen und Schüler  haben nur geringe Möglichkeiten, von der Regierung die Einhaltung der gesetzlich verordneten Staatsziele zu fordern. Zwar können sie mit 16 Jahren in einigen Parteien Mitglied werden, wählen dürfen sie aber erst mit 18. Dabei haben bislang weder Parteiarbeit noch Urnengang die Klimakatastrophe aufhalten können. Und da diese unumkehrbare Folgen für Menschen und Tiere hat, müssen auch Kinder ihren  Protest nicht nur in der Schule sondern öffentlich äußern dürfen.

Ihre privaten Möglichkeiten, die Lebensgrundlagen zu erhalten, in § 2 NdsSchG immerhin als Erziehungsziel formuliert, sind angesichts des Ausmaßes der Zerstörung begrenzt. In einer solchen Situation kann die Teilnahme an Demonstrationen nach der gebotenen Abwägung ein wichtiger Grund sein, dem Unterricht fernzubleiben.

Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung von Fehlzeiten.  Bei unentschuldigtem Fernbleiben vom Unterricht droht die Nichtversetzung. Eine Güterabwägung von Verfassungsrechten hat also an diesem Punkt einzusetzen.

VI.

Unentschuldigtes Fehlen kann Sanktionen auslösen

Schulen, die der Ansicht sind, die Teilnahme an den Fridays-for-Future- Demonstrationen stellen einen Verstoß gegen die Schulpflicht dar, haben Sanktionsmöglichkeiten:

- Sie können Eltern durch Ordnungsgeld und sogar Erzwingungshaft anhalten, ihre Kinder zur Schule zu schicken.

-Vollstreckungsbeamte können Kinder zur Schule bringen.

-Schulen können von Jugendämtern verlangen beim Familiengericht den Antrag zu stellen, den Eltern das Schulbestimmungsrecht –ein Teil der elterlichen Sorge- zu entziehen.

Schulen können auch gem. § 61 NdsSchG Erziehungsmaßnahmen und Ordnungsmittel direkt gegenüber Schülerinnen und Schüler anordnen.

Das alles geschieht derzeit nicht. Was aber, wenn das politische Klima „kippt“, der „Welpenschutz“ für Kinder aufgebraucht ist und Sanktionen anstehen sollten?

Hier sind Parents-for-Future aufgerufen, das Recht ihrer Kinder durchzusetzen.

Auch sind Juristinnen und Juristen gefragt, die darlegen, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht ein wichtiger Grund gegeben ist, Schülerinnen und Schüler vom Unterricht zu befreien.

Wird die Erlaubnis dennoch versagt, überprüfen die Gerichte die Entscheidung der Schulbehörden.

Wenn Eltern ihren Kindern erlauben zu demonstrieren und deswegen dem Unterricht fernbleiben, können sie sich auf ihr Erziehungsrecht  gemäß Art 6 GG berufen.

Sollte ihnen das Schulbestimmungsrecht entzogen werden, können sie sich nicht nur auf ihre sondern auch auf Grundrechte ihres Kindes berufen.

Hierzu hat das Oberlandesgerichts Schleswig in seiner Entscheidung vom 27.12.2018 (FamRZ 2019, 453 ff) klare Worte gefunden:

Eine Schülerin hatte fast zwei Jahre jeglichen Schulbesuch verweigert, weil die Schule durch ihre Art, Wissen zu vermitteln, sie am Lernen hindere. Sie wolle privat lernen. Das Oberverwaltungsgericht stellte fest, dass die Mutter keinerlei Einfluss mehr habe, die Tochter umzustimmen. Der Wille des Mädchens dürfe nicht gebrochen werden, sonst drohe eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts, ein in Art 2 geschütztes Grundrecht, das der Minderjährigen zustehe.

Bei Maßnahmen gegen demonstrierende Schulkinder gemäß § 61 NdsSchG ist also auch ihr Wille als Ausdruck des Grundrechtes auf Schutz der Persönlichkeit zu beachten.

Die Schule darf Erziehungsmittel nur dann ergreifen, wenn sie pädagogisch geeignet sind. Und Ordnungsmittel dürfen nur verhängt werden, wenn Schülerinnen und Schüler ihre Pflichten grob verletzt haben. Gesetzlich vorgesehene Maßnahmen sind

-Ausschluss bis zu einem Monat vom Unterricht-Überweisung in eine Parallelklasse-Ausschluss bis zu drei Monaten vom Unterricht-Verweisung an eine andere Schule-Verweisung von der Schule-Verweisung von allen Schulen.

Man kann sich Fälle vorstellen, wo der Schulverweis eines einzelnen Schülers das letzte Mittel ist, sich gegen sein Verhalten zu schützen. Mit Ordnungsmittel gegen alle Demonstrierenden vorzugehen, muss allein schon wegen ihrer großen Zahl nicht ernsthaft befürchtet werden.

Was aber wenn eine Schule „seinen“ einzigen Fridays for future- Aktivisten vom Unterricht aussperrt oder von der Schule weist ? Oder wenn bei einzelnen, die herausgegriffen werden, ein „Exempel statuiert“ wird. Diese Gefahr ist nicht gebannt, schon gar nicht die Drohung mit der Nichtversetzung wegen erheblicher Fehlzeiten

Gleiches gilt für das Ordnungsgeld, das  gemäß § 16 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) gegen Eltern verhängt werden kann, die das Fernbleiben ihrer Kinder vom Schulunterricht nicht verhindern können oder wollen. Sollte dies geschehen, muss  § 16 OWiG auf den Prüfstand. Er lautet:

 

Rechtfertigenden Notstand

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen , namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. ..“

Nach allen ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Studien besteht höchste Gefahr für Leib und Leben der vom Klimawandel betroffenen Menschen. Die Gefahr ist längst in unserem Alltag „angekommen“, denkt man an die Hitzetoten im Jahrhundertsommer 2018. Und das waren nicht nur alte Menschen. Auch die Gesundheit ist durch Abgase und Gifte, die in der Landwirtschaft verwandt werden, gefährdet. Und das Eigentum wird beschädigt durch Austrocknen der Böden, Untergang von Küstenregionen, Verwüstungen durch Wirbelstürme, nur um einige Beispiele aufzuführen. 

Aber, sind die Gefahren gegenwärtig und nicht anders abwendbar? Das wird nach herrschender Auslegung der Norm verneint.

Dabei wissen wir, dass die Schädigung –Krankheit oder Tod- eintritt, wir kennen nur noch nicht den genauen Zeitpunkt. Das aber ist unerheblich, wichtig ist nur, dass keine weiteren Risikofaktoren hinzutreten müssen, um von einer unmittelbaren Gefahr sprechen zu können.

Wir brauchen also Juristinnen und Juristen, die prüfen, ob bei Auslegung der Gesetze, sei es nun im Ordnungswidrigkeiten-, Schul- oder Familienrecht, die Grundrechte beachtet werden.

Wir kennen dies aus der Vergangenheit. Als Art 3 GG  -Männer und Frauen sind gleichberechtigt- als Grundrecht aufgenommen wurde, ahnte niemand, dass diese Vorschrift vorhandene Gesetze als verfassungswidrig aufhob und die Rechtsprechung grundlegend änderte. Das dauert jetzt schon 70 Jahre!

Wir sind erst am Anfang einer Entwicklung, in dem Art 20 a GG –Erhalt der Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen- in Gesetz und Rechtsprechung wirksam werden muss.

Unter diesem Blickwinkel könnte schon in naher Zukunft ein neuer Streit, mit empfindlichen Konsequenzen für die Politik auftauchen, wenn nämlich Steuergelder in Milliardenhöhe von der Bundesrepublik zu zahlen sind, weil sie gegen das Pariser Abkommen verstoßen hat.

Parents-for-Future haben sich schon zusammengeschlossen und werden für ihre und die Grundrechte ihrer Kinder eintreten. Sie brauchen die Unterstützung gerade auch von Juristinnen und Juristen. Diese sollten bestehende Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen, Einfluss auf die Rechtsprechung und Gesetzgebung nehmen  und so „Mehr Verfassung wagen“.

Brauchen wir also auch Laywers-for-Future ?  Es sieht ganz so aus.

Margarete Fabricius-Brand

Rechtsanwältin Hannover