Stellungnahme der „People and Parents for Future Ulm, Neu-Ulm, Alb-Donau“ und weiterer Ulmer Klima- und Umweltschutzgruppen zum Artikel
„Zukunftsfähige Klimapolitik Prof. Franz Josef Radermacher: Verzicht rettet das Klima nicht“
(am 13.7.2021 auf swp.de veröffentlicht:
https://www.swp.de/suedwesten/staedte/ulm/zukunftsfaehige-klimapolitik-… )
Ulm, den 16.07.2021
Als Teil der weltweiten Klimaschutzbewegung möchten wir auf einige der gravierendsten Fehleinschätzungen in den Positionen von Prof. Radermacher eingehen, mit denen er in seinem Kommentar1 zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-Klimaschutzgesetz versucht, die geplanten Konkretisierungen der deutschen und europäischen Klimaschutzpolitik abzuqualifizieren, die sich u. a. aus diesem Urteil ergeben.
Die erste Fehleinschätzung bezieht sich auf den Zeitrahmen, der uns noch bleibt, um die Treibhausgas (THG) - Emissionen so einzuschränken, dass die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzt bleibt, wie es im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 völkerrechtlich verbindlich vereinbart wurde.
Die Annahme eines Restbudgets, das der Welt für die Emission von THG noch zur Verfügung steht, ohne dass sich die globale Durchschnittstemperatur über die 1,5 Grad-Grenze hinaus erhöht, ist die allgemein anerkannte Basis der Diskussion zwischen Klimawissenschaft und Politik. Alle Klimaschutz-Konzepte müssen sich daran messen lassen, ob sie eine realistische Möglichkeit aufzeigen, dieses Restbudget einzuhalten. Leider versäumt es Prof. Radermacher, zu erläutern, wie sich sein Konzept im Hinblick auf Gesamtmenge und Zeitverlauf in den Rahmen eines solchen „1,5Grad- THG-Restbudgets“ einfügt. Wir können daher nur indirekt über den Zeitraum argumentieren, den er für einen allmählichen Übergang hin zur Nutzung von eFuels ansetzt (eFuels sind kohlenstoffhaltige Treibstoffe, die aus „grünem Wasserstoff“ erzeugt werden, wobei der Wasserstoff mit Hilfe von erneuerbar erzeugtem Strom aus Wasser gewonnen wird). Er schätzt, dass bis zum Jahr 2030 bis zu 15% des fossilen Treibstoffs durch eFuels ersetzt werden können. Somit würden im Jahr 2030 die Verbrennungsmotoren im Verkehrssektor noch 85% der heutigen Menge an THG emittieren. Wenn man das insgesamt zur Verfügung stehende Restbudget gleichmäßig auf die Einwohner aller Länder der Erde verteilt, muss Deutschland aber schon im Jahr 2030 klimaneutral sein (siehe beispielsweise https://www.showyourbudgets.org/de/?country=germany). Der Vergleich zwischen der THG Reduktion von 15% (Radermacher) und von 100% (auf dem IPCC beruhende Berechnungen) bis 2030 zeigt, dass sich Prof. Radermacher bei seinen Überlegungen sehr weit vom wissenschaftlichen Konsens entfernt hat.
Die zweite Fehleinschätzung von Prof. Radermacher besteht darin, dass er die immensen Hürden, die einer Massenproduktion von eFuels im Weg stehen, kleinredet bzw. ignoriert. Er geht davon aus, dass in den heißen Wüstenregionen der Welt große Mengen „grünen Wasserstoffs“ mit Hilfe von Solar- bzw. Windstrom erzeugt werden können. Dagegen spricht u. a., dass ein Land, das seine Stromproduktion nicht vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt hat, als Standort für die Produktion von grünem Wasserstoff ausfällt, da dort zunächst die fossile Stromerzeugung ersetzt werden muss. Um den Bedarf selbst unter der bescheidenen Annahme von 15% eFuel-Anteil zu decken, müssten die Erzeugungskapazitäten innerhalb weniger Jahre um viele Größenordnungen erhöht werden, während es bisher weltweit keine Pilotanlage gibt, die eFuels in nennenswerten Mengen herstellen kann. Deshalb erscheinen alle Prognosen von Prof. Radermacher bzgl. der Verfügbarkeit von eFuels als ähnlich wahrscheinlich wie das von seinem Verein „Global Energy Solutions“ selbst als Vorläuferprojekt genannte Desertec-Projekt, das bereits früh an politischen Problemen gescheitert ist.
Es ist allgemein anerkannt, dass Wasserstoff eine zentrale Rolle in einer nachhaltigen Energie- und Rohstoffversorgung spielen wird. Dabei sind selbst in der Einschätzung führender Industrievertreter (z. B. der Vorstände von Daimler und VW) die Einsatzfelder angesichts der Knappheit auf absehbare Zeit auf Anwendungen beschränkt, für die es keine andere nachhaltige Lösung gibt, wie beispielsweise in der Stahlproduktion, oder später bei höherer Verfügbarkeit als eFuels im Flugverkehr. In diesem Zeitrahmen müssen aber alle PKW und auch ein großer Teil der LKW bereits mit CO2-neutralem Antrieb ausgestattet werden. Außerdem sind eFuels im Vergleich mit batterieelektrischen Antrieben sehr ineffizient: Aufgrund der hohen Umwandlungsverluste auf dem Weg von erneuerbarer elektrischer Energie über grünen Wasserstoff zu eFuels und schließlich hin zum Antrieb von Fahrzeugen ist der Energieaufwand, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen, mit eFuels ungefähr fünfmal höher als mit elektrischem Strom. Das bedeutet, dass ein Batteriefahrzeug mit derselben Energiemenge fünfmal weiter fährt als ein Fahrzeug, das mit eFuels angetrieben wird. Kurz gesagt ist die Darstellung von eFuels als klimaneutrale Patentlösung im Mobilitätssektor reines Wunschdenken.
Zusammen mit der globalen Klimaschutzbewegung setzen die unterzeichnenden Ulmer Klima- und Umweltschutzorganisationen auf eine konsequente Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft an nachhaltigem Ressourcenverbrauch. Daraus folgt zwingend, dass gerade im Mobilitätssektor der Ausstoß von THG schnellstens reduziert werden muss. Wir sehen eine große Chance, durch die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs neben den Klimaschutzzielen auch eine höhere Lebensqualität für die überwiegende Mehrheit der Menschen zu erreichen, da unsere Gemeinden und Städte grüner, leiser und menschenfreundlicher werden können. Damit widersprechen wir Prof. Radermacher entschieden in seiner Behauptung, dass unser Wohlstand nur mit dem Festhalten an einer automobilzentrierten Wirtschaft erhalten werden kann.
Zusammengefasst stellen wir fest, dass Prof. Radermacher sich in seiner Argumentation nicht auf dem aktuellen Stand der Klimawissenschaft bewegt, dass er bei der Beurteilung von eFuels viele wichtige Argumente und Schwierigkeiten ignoriert und dass er die Chancen einer Abkehr von einer autozentrierten Verkehrspolitik nicht erkennt.
An seinem Verein „Global Energy Solutions“, der sich intensiv der Lobbyarbeit für seine Thesen widmet, sind viele prominente Vertreter aus Politik und Industrie beteiligt. Auch der OB der Stadt Ulm, die sich aktuell als Wasserstoffregion profilieren möchte, sitzt im Beirat und wertet damit diese Organisation auf, die sich inzwischen weit von seriösen Diskussionsbeiträgen entfernt hat. Jeder Beteiligte sollte daher ernsthaft prüfen, ob er weiterhin die rückwärtsgewandten Vertreter einer fossilen Wirtschaft unterstützen möchte, die mit allen Mitteln ein Umsteuern in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem blockieren, um mit überholten und zerstörerischen Geschäftsmodellen auch in Zukunft gute Geschäfte machen zu können.
Unterzeichner*innen
BUND Ulm
Extinction Rebellion Ulm
Fridays For Future Ulm/Neu-Ulm
Gemeinwohlökonomie – ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft Ulm
Gen-frei Ulm
Greenpeace Ulm
lokale agenda ulm 21
People and Parents for Future Ulm, Neu-Ulm, Alb-Donau
Psychologists For Future Ulm/Neu-Ulm
SoLaWi – Solidarische Landwirtschaft Ulm
ulm isst gut
Kontakt:
Dr. Martin Ruff (People and Parents for Future Ulm, Neu-Ulm, Alb-Donau)
1 https://www.swp.de/suedwesten/staedte/ulm/zukunftsfaehige-klimapolitik-verzicht-rettet-das-klima-nicht-58134293.html?download=15813429386552687