Die selbstgefällige Chemnitzer Klimapolitik gefährdet die Zukunft der Stadt

P4F Chemnitz
P4F Chemnitz • 6 Februar 2020
0 Kommentare
Gesamtzahl der „Gefällt mir“-Stimmen 0 Gefällt mir

Die selbstgefällige Chemnitzer Klimapolitik gefährdet die Zukunft der Stadt

Chemnitz, 6.2.2020

"Die Stadt tut seit 12 Jahren genug fürs Klima, wurde mehrfach dafür ausgezeichnet, und mit Klimanotstand würde der Eindruck erweckt, man habe Nachholebedarf", so Bürgermeister Mirko Runkel beim Klimaausschuss am 29.1.2020, als er dem Stadtrat empfahl, die Petition zur Anerkennung des Klimanotstandes nicht anzunehmen.

Dabei hat die Stadt Nachholebedarf:

  • Ihre mehrfache Auszeichnung mit dem European Energy Award (eea) basiert auf veralteten Klimazahlen des Jahres 2010, die nicht an die "neueren" Erkenntnisse des Pariser Klimaabkommens 2015 angepasst wurden.
  • Das sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) berichtete  Ende Januar 2020 über die dramatische Beschleunigung des Klimawandels.
  • Die ökologischen Notstände in Chemnitz sind nur mit einem Notfall-Sofortprogramm zu lindern, das wir am 3.2.2020 mit einigen Stadträten diskutiert haben: https://parentsforfuture.de/de/node/2355

Worin besteht der Nachholebedarf der städtischen Klimapolitik genau?

Kurz gesagt: "Das Erkenntisdefizit und die Selbstgefälligkeit der Entscheider zum Klimawandel muss einem faktenbasierten Blick weichen."

Das sind die Fakten:

  • Das 2030er CO2-Reduktionsziel der Stadt, für die sie seit 2010 regelmäßig ausgezeichnet wurde, liegt bei 5.85 t CO2 / Einwohner / a. Ausgangspunkt ist eine Halbierung der Emissionen von 1990 von 11,7 t um die Hälfte bis 2030. Quelle: 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019, S.8, Kap. 2.3
  • Nach "neueren" erdsystemischen Erkenntnissen des IPCC von 2014 und dem Pariser Klimaabkommen von 2015, die nach Start des Auditprozesses um den EEA-Award 2010 bekannt wurden, muss die Stadt bis 2030 ihre CO2-Emissionen auf nur 4,4 t CO2 / Einwohner / a reduziert haben. Ausgangspunkt sind die Chemnitzer Emissionen von 2010 mit ca. 8 t CO2 / Einwohner /a, die bis 2030 um 45% auf 4,4 t reduziert werden müssen. Quelle: 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019, S. 57
  • Es ist davon auszugehen, dass die Emissionen auf weit unter 4,4 t in 2030 zu reduzieren sind, da nach Angaben des sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie im Jahr 2019 Durchschnittstemperaturen herrschten, die erst 2050 zu erwarten gewesen wären - der Klimawandel geht also schneller vonstatten als in Modellen vorhergesagt.
  • Der kommende Bericht des Weltklimarates "IPCC", der dem Klimagipfel in Glasgow im Herbst 2020 zugrunde liegen wird sagt aus, dass sich die Durchschnittstemperatur der Luft nicht um 1,5 bis 3 Grad erwärmen wird, sondern um 3 bis 6 Grad - ein weiterer Beleg, dass sich der Klimawandel schneller vollzieht als angenommen. Quelle: https://www.energiezukunft.eu/klimawandel/co2-ist-sehr-viel-kraftvoller-als-bislang-angenommen/
  •  Die CO2-Emissionen von Chemnitz stagnieren bei 6,6 t CO2 / Einwohner / a. Quelle: 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019
  •  Der Energieverbrauch stagniert bei 3.200 GWh / a. Quelle: 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019
  • Kein Zubau an Fotovoltaik und Windkraft. Quelle: 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019
  • Sachsen erlebt eine Bodendürre schwersten Ausmaßes - es fehlt ein halber Jahresniederschlag. Quelle: https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/233791 
  • Annaberg droht Notversorgung mit Wasser durch trockenheitsbedingtes Niedrigwasser in der Talsperre Cranzahl. Quelle: https://www.freiepresse.de/erzgebirge/annaberg/lage-der-trinkwasserversorgung-im-raum-annaberg-spitzt-sich-zu-artikel10718911
  • Im Fluss Zschopau wurde an der Messstelle Lichtenwalde im Januar 2020 ein trockenheitsbedingter Durchfluss von 6 m3 / s gemessen, normal sind 30 m3 / s im Winter. Quelle: Meßwerte
  • Feuchtgebiete, z.B. in Chemnitzer Wäldern wie dem Zeisigwald sind ausgetrocknet. Sie sind die Lebensorte von Tieren wie Insekten und Lurchen. Die Zahl der Lurche ist in Chemnitz dramatisch zurück gegangen. Quelle: Umweltzentrum
  • Der Chemnitzer Bauminfarkt: Chemnitz hat 33.000 Straßenbäume. 2018 und 2019: 2500 Stadtbäume gestorben. 323 geplante Nachpflanzungen 2019. 30-40% der Nachpflanzungen sterben. Weniger Triebe bei Winter-/Frühjahrstrockenheit. Sommerdürre: weniger Fotosynthese wie Harzbildung. Quellen: Umweltzentrum, Grünflächenamt
  • 1 neuer Stadtbaum braucht zum Überleben 5 Jahre Pflege, täglich 2-3 Eimer Wasser.
  • Käfernholzanfall durch Borkenkäfer: Eibenstock: 2017: 1.145 fm (Festmeter) 2018: 24.566 fm, 2019: 60.169 fm. Chemnitz: 2019 Holzentnahmeplan: 9000 fm. Tatsächlich entnommen: 12.000 fm wegen Sturm und 1.000 fm wegen Borkenkäfer. Quellen: Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft; Grünflächenamt
  • Abholzen gesunder Bäume, gepaart mit unzureichenden Neupflanzungen: Abholzung eines ganzen Waldes Nähe Walter-Janka-Str. für Bauvorhaben Adelsberg-Südabrundung, Abholzung begrünter Tietz-Parkplatz, Abholzung in Flemminggebiet-Innenhöfen für Parkplätze, Abholzung von über 60 bis zu 100 jährigen Buchen in Ebersdorf im Januar unter ungeklärten Umständen, Fällung von 95 Bäumen am Hartmannplatz bei 95 Nachpflanzungen - es müssen doppelt so viele Nachpflanzungen sein.
  • Nachpflanzungen und Wiederaufforstungen von Bäumen veratmen CO2 nur halb so effektiv wie längjährig bestehende Biotope. Grund sind unter anderem die unsichtbaren, symbiotischen Verflechtungen im Ökosystem Erdboden.
  • Bäume sind Schattenspender, Rückzugsort f. Tiere, Biotope, Symbioten, Wasserspeicher u.v.a.m.
  • Der Stadtforst und andere stadtökologisch verantwortliche Bereiche haben Personalnotstand: Beispielsweise sind die 3 von ehemals 12 Waldarbeitern mit den geplanten Aufgaben bereits überlastet. Quelle: Grünflächenamt 

Das LfULG stellt in seinem "Jahresrücklblick 2019" zum Klimawandel auf Seite 6 diesen dramatischen, galoppierenden Durchschnittstemperaturanstieg durch richtige MESSUNG - nicht durch Klimamodelle - fest, dessen in die Zukunft projizierte 90% Kurve nach dem dramatischen Anstieg im letzten Jahrzehnt noch viel zu optimistisch scheint:

Warum haben diese Erkenntnisse keine Rolle gespielt bei der Entscheidung über den Klimanotstand? Haben die Entscheider den 5. Klimaschutzbericht der Stadt Chemnitz, Jan. 2019 nicht richtig gelesen? Haben die Entscheider nicht mit ihren Ökologieexperten in der Verwaltung gesprochen?

In die Entscheidung über den Klimanotstand im Stadtrat am 5.2. hätten die Erkenntnisse einfließen können - statt dessen wurde einmal mehr um den Begriff "Notstand" gestritten statt den Klimanotstand anzuerkennen. Die Fakten zeigen, dass Klimanotstand herrscht.

Wer die Fakten nicht anerkennt und klimabezogene Maßnahmen depriorisiert oder als "Maßnahmen unter vielen" verbucht gefährdet die Zukunft der Stadt.

 

Pressemitteilung

 

Chemnitz verpasst große Chance für besseren Klimaschutz

  • Klimanotstand wurde am 5. Februar 2020 durch den Chemnitzer Stadtrat nicht anerkannt
  • Selbstgefällige städtische Klimapolitik verhindert ausreichende Reduktion der CO2-Emissionen
  • „Parents for Future“ kämpft weiter für eine ambitionierte Klimapolitik und die Erhaltung der Lebensgrundlagen in Chemnitz

Chemnitz, 07.02.2020  Die Chemnitzer Ortsgruppe von „Parents for Future“ bedauert die Entscheidung des Stadtrats, dass dieser den Klimanotstand nicht anerkennt. Während der Stadtratssitzung am 5. Februar fand sich in einer Abstimmung zur Petition „Klimanotstand für Chemnitz“ keine Mehrheit. Gleichzeitig gab es vor dem Rathaus eine Kundgebung von „Fridays for Future“ und „Parents for Future“. „Damit verpasst Chemnitz eine große Chance für besseren Klimaschutz. Hätte Chemnitz den Klimanotstand anerkannt, so wäre damit auch eine starke Botschaft ins Umland gesendet worden.“, sagt Andreas Brand von den Chemnitzer „Parents for Future“. „Es geht um das Grundrecht auf eine lebenswerte Zukunft für die nachfolgenden Generationen, das die Stadt Chemnitz mit dieser Entscheidung einschränkt.“, erklärt Robert Aßmann.

Städtische Klimapolitik hat Nachholbedarf

Die Entscheidung gegen den Klimanotstand wurde von Stadträt*innen zum Teil damit begründet, dass Chemnitz bereits viel für den Klimaschutz unternehme. Doch die bisher ergriffenen Maßnahmen sind ungenügend, denn die CO2-Emissionen können damit nicht ausreichend reduziert werden. „Die selbstgefällige Chemnitzer Klimapolitik basiert auf veralteten Zahlen, die Entscheider der Stadt scheinen ihre eigenen Klimaberichte nicht gelesen zu haben“, stellt Uwe Grüner von „Parents for Future“ fest. Das CO2-Reduktionsziel der Stadt für das Jahr 2030, für die sie seit 2010 regelmäßig ausgezeichnet wurde, liegt bei 5,85 t CO2 pro Einwohner und Jahr. Nach neueren Erkenntnissen müsse das Ziel auf 4,40 t angepasst werden. Uwe Grüner schlussfolgert daher: „Angesichts der dramatischen Entwicklung bräuchte Chemnitz ein Notfall-Sofortprogramm. Die Stadt wird klimapolitisch momentan falsch regiert.“ Im Vorfeld der Stadtratssitzung suchte „Parents for Future“ mehrfach gezielt den Dialog mit Stadt*rätinnen, um die Faktenlage zu vermitteln. „Parents for Future“ kämpft trotz der enttäuschenden Abstimmung im Stadtrat weiter für eine ambitionierte Klimapolitik und die Erhaltung der Lebensgrundlagen in Chemnitz.

Weitere Informationen zur aktuellen Situation in Chemnitz:
https://parentsforfuture.de/de/node/2369 

 

Über Parents for Future

„Parents for Future“, zu deutsch „Eltern für die Zukunft“, ist ein freier Zusammenschluss von erwachsenen Menschen und steht in Solidarität zur Fridays-for-Future-Bewegung. Die Vereinigung unterstützt die jungen Menschen in ihrem friedlichen Protest für einen ambitionierten Klimaschutz in Deutschland und weltweit. Das Engagement der Ortsgruppen umfasst sowohl die Arbeit in der lokalen Öffentlichkeit als auch die Durchführung eigener Aktionen zum Thema Klima- und Umweltschutz. Ziel ist es, den Jugendlichen von „Fridays for Future“ in ihrem Anliegen für eine konsequente Klimapolitik Rückhalt zu bieten und den Fokus der öffentlichen Debatte auf ihre berechtigten und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Forderungen zu lenken. Mehr Informationen unter parentsforfuture.de/chemnitz.

 

Kontakt

Stefan Klix
Parents for Future
Ortsgruppe Chemnitz und Umgebung
Web: https://parentsforfuture.de/chemnitz 
E-Mail: chemnitz@parentsforfuture.de
Twitter: @P4FChemnitz 
Tel.: +49 170 444 5152

Files